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„Viel Weißraum, mit Platz zum Interpretieren.“ Der Potsdamer Maler Stefan Lierse und die Aufsichtsratsvorsitzende der Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“, Elke Marek, unterhalten sich über das von Lierse geschaffene Marx-Porträt, das seit Freitag im Foyer der neuen Geschäftsstelle der Genossenschaft zu sehen ist.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Marx als Mensch mit Rotweinflecken

Wohnungsbaugenossenschaft enthüllte neues Bild ihres Namenspatrons, geschaffen vom Künstler Stefan Lierse

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Waldstadt - Robert. Sie hat ihren Sohn Robert genannt. „Aber warum haben Sie denn ihren Sohn nicht Karl genannt?“ Marina Marx kann gar nicht sagen, wie oft sie diese Frage beantworten musste. Und „weder verwandt noch verschwägert“, das muss sie natürlich auch immerzu versichern. Allerdings hat die Potsdamerin mit dem Philosophen Karl Marx (1813-1883) mehr gemein als nur den Nachnamen. Sowohl die Großeltern als auch die Eltern arbeiteten im einstigen Potsdamer Karl-Marx-Werk, auch sie selbst war dort beschäftigt, im Büro. Und sie ist Mitglied der Wohnungsbaugesellschaft „Karl Marx“ (WBG), die am heutigen Samstag den 59. Jahrestag ihrer Gründung feiert. Bereits am Vorabend dieses Jubiläums hat die Genossenschaft ihren Namenspatron mit einer Grafik seines bärtigen Konterfeis geehrt, das im Foyer der neuen Geschäftsstelle feierlich enthüllt und gut sichtbar aufgehängt wurde. „Warum nicht“, sagt Marina Marx, „er ist ja wieder modern.“

Den Anstoß für diese in der jüngeren Geschichte etwas aus der Mode gekommene Marx-Ehrung gab der Sozialdemokrat Jann Jakobs. In der alten Genossenschafts-Zentrale hat ein älteres Marx-Bildnis „nur ein Kellerdasein“ geführt, erklärte WBG-Vorstand Bodo Jablonowski bei der Enthüllungszeremonie am Freitag. Dann regte der Oberbürgermeister an, in der neuen Geschäftsstelle müsse es auch einen neuen, würdevolleren Umgang mit dem berühmten, sicher auch berüchtigten Autor von „Das Kapital“ und „Das Elend der Philosophie“ geben. Jablonowski nahm den Ball auf und spielte ihn an die Genossenschaftsmitglieder weiter. Seine im WBG-Blatt „KM“ – die Bedeutung dieses Kürzels bedarf wohl keiner Erklärung – gestellte Frage: „Wie weiter mit Karl Marx?“ Die sich der Frage stellenden Wohnungsgenossen sprachen sich für ein neues Bild von Karl Marx aus, das im Foyer der neuen WBG-Zentrale aufgehängt werden sollte. Dazu könnte ein Marx-Zitat zum Thema Wohnen passen, fanden die Mitglieder.

Auf das Zitat wurde in der weiteren Diskussion verzichtet, so Jablonowski, weil sich kein geeignetes fand und weil „wir damit nicht in eine politische Diskussion kommen wollen“. Aber das Bild wurde in Auftrag gegeben; es sollte so sein, „dass wir nicht als Ewiggestrige dastehen, aber auch Selbstbewusstsein hinsichtlich unseres Namens ausdrücken“, bekannte Jablonowski. Der Potsdamer Maler Stefan Lierse lieferte infolge dieser Prämissen eine sehr leichte, luftige Interpretation eines vorhandenen Marx-Motivs, das Gegenteil eines gravitätischen, bedeutungsschweren Ölschinkens. Er habe Karl Marx entpolitisieren und als Mensch zeigen wollen, erklärte der 43-jährige Künstler. Den „ganzen Ballast“, den Marxismus-Leninismus, habe er beiseite lassen wollen. Lierse wählte eine einfache Schwarz-Weiß-Grafik mit viel Freiraum, mit „viel Weißraum, mit Platz zum Interpretieren“. Lierse erlaubt sich einen kleinen Geniestreich: Er drapierte sein Werk mit einem kreisrunden Pinselstrich, der leicht der Bodenabdruck einer Rotweinflasche sein könnte. Dazu gesellen sich mehrere rote, nun ja, Rotweinflecken. Für den Künstler ist das „Ausdruck des einfachen Lebens“. Marx habe sich immer „Geld geliehen bei Friedrich Engels für teure Zigarren“ und „sicher auch gern mal einen getrunken“.

Karl Marx sei „immer politisch missbraucht worden für andere Zwecke“, findet der WBG-Mieter Klaus Selignow. Marx habe sich etwas anderes gedacht, „als dann daraus gemacht wurde“. Olaf Geudtner erinnerte daran, dass die Genossenschaft den Namen 1954 vom Karl-Marx-Werk übernommen habe. „Egal welche Kaiser oder Könige gerade an der Macht sind“, sie beriefen sich gern auf Philosophen, die nicht mehr am Leben sind und sich nicht wehren können. „So sehe ich das“, sagt Geudtner. „Sie haben die Leute nicht animiert, selber zu denken“, steuert Selignow zu einer kleinen, sich der Bildenthüllung anschließenden Diskussion bei. Allerdings, entgegnet Elke Marek, Aufsichtsratsvorsitzende der Wohnungsgenossenschaft, „früher haben wir gemerkt, dass wir manipuliert werden. Heute läuft das viel subtiler“. Sie und Selignow sind der Meinung, Marx sei aktuell, „mehr denn je!“ Was habe er im „Kapital“ geschrieben? „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn ... 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“ Das Kapital über Leichen gehe, könne man in der Dritten Welt sehen, glaubt Elke Marek.

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