Landeshauptstadt: Matthias Platzeck und die Diktatur
Geschichtsprojekt: Schüler der Lenné-Schule im Zentrum Ost befragten den Ministerpräsidenten
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Dass ein Stasi-Gefangener in der Haftanstalt in der Lindenstraße so lange auf dem Boden herumrutschen musste, bis er sich die Knie blutig gescheuert hatte, das hat den Schüler Martin Wuck aus der Lenné-Gesamtschule sehr bewegt. Zusammen mit Anne Klonower und Eva Ackermann, Schülerinnen einer 13. Klasse, konnte Wuck gestern Ministerpräsident Matthias Platzeck über sein Leben unter der DDR-Diktatur befragen.
Platzeck berichtete über diese Verhörmethoden, die er aus Erzählungen kenne. „Neu für mich war, dass dieser Stasi-Mann nicht einfach verhaftet und bestraft werden kann“, sagt der Schüler anschließend. „Zur Demokratie gehört der Rechtsstaat“, hatte Platzeck zuvor erklärt. Wenn dieser aufgegeben werde, würde man sich auf die Stufe einer Diktatur stellen. Es bleibe daher nicht aus, „dass der Umgang mit den Tätern der DDR für manche unbefriedigend“ sei.
Das Interview der Schüler mit dem Ministerpräsidenten ist ein Baustein ihres Projektes, in dem sie versuchen, Diktaturen miteinander zu vergleichen. Ob er Parallelen zu anderen Diktaturen sehe, wollte Martin Wuck daher wissen. Es wäre ein Fehler, die DDR mit der Hitler-Diktatur in einen Topf zu werden, antwortet Platzeck. Das würde den im Dritten Reich industriell durchgeführten Völkermord unzulässig relativieren.
Die Schüler konnten im Interview erfahren, dass Platzeck nicht nur voller Groll ist und nur schlechte Erinnerungen an die DDR hegt. „Wie haben Sie als Jugendlicher den Alltag erlebt?“, wollte Anne wissen. Platzeck berichtet über die „Mathe-Physik-Schule“ in Kleinmachnow, die er besucht habe, und die eine „sehr gute Schule mit guten Lehrern“ gewesen sei. Er habe eine „ausgesprochen schöne Erinnerung“ an diese Zeit. Und den Staatsbürgerkunde-Unterricht habe keiner als etwas Besonderes empfunden. „Das hat mein Wohlgefühl nicht beeinträchtigt.“ Es habe für Jugendliche eine Menge Angebote, die Zeit vernünftig zu verbringen, gegeben, doch alles unterlag dem Gedanken der Gleichschaltung. Und: Viele Freizeitbetätigungen hätten eine militärische Ausrichtung gehabt. Mitte der achtziger Jahre gab es gar „Wehrerziehung“ als Unterrichtsfach.
Opposition? Eine Frage der „Lebenshaltung“, sagt Platzeck. Das Ansinnen, in die Staatspartei einzutreten, habe er abgelehnt. Im Jahr des Prager Frühlings 1968 gab es eine Flugblattaktion auf dem heutigen Luisenplatz. Jugendliche hätten ihre Nichtakzeptanz des Systems durch Kleidung, lange Haare oder Punk-Frisur zum Ausdruck gebracht und 95 Prozent der Bevölkerung habe sich in eine „Nische“ zurückgezogen. Und die Demokratie heute, ist sie stabil genug? „Ich kann“s nicht vorhersagen“, meint Platzeck freimütig auf Evas Frage. Günter Schenke
Günter Schenke
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