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HEYES Woche: Mauer im Kopf

Es gibt feste Daten im Jahr, gleichgültig ob sie ein rundes Jubiläum erreichen oder nicht, die sofort einen Film im Kopf abrufen. Bilder, die im kollektiven Gedächtnis der Menschen immer wieder auftauchen.

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Es gibt feste Daten im Jahr, gleichgültig ob sie ein rundes Jubiläum erreichen oder nicht, die sofort einen Film im Kopf abrufen. Bilder, die im kollektiven Gedächtnis der Menschen immer wieder auftauchen. So ist es auch mit dem 13. August 1961 und den Tagen danach: „Keiner hat die Absicht eine Mauer zu errichten“, sagte Walter Ulbricht, als er die Mauer schon im Kopf hatte, aber noch nicht die Erlaubnis des großen Bruders, sie auch zu bauen. So fing an, was niemandes Fantasie sich hätte ausdenken können. Es gab sie dann in der Wirklichkeit. Aber was die DDR retten sollte, war doch nur ihr zeitlich verschobener Untergang. Mit Mauern ist eben kein Staat zu machen.

War sie zu verhindern? Hätte es Chancen gegeben für die DDR, einen anderen Weg zu nehmen als den, alle Wege nach Westen zu versperren? Wie wäre es mit dem gedanklichen Experiment, sich vorzustellen, dass es der SED-Führung gelungen wäre, die Herzen der Menschen in ihrem (Macht)-Bereich zu gewinnen, statt ihnen mit unerbittlichem Misstrauen entgegenzutreten. Manche in der DDR hofften darauf, allerdings auch nur dann, wenn die Entleerung des Landes durch Flucht in den Westen beendet würde. Jeden Monat bis zu 40 000 Menschen, die dem Arbeiter- und Bauernstaat den Rücken kehrten.

Der 13. August war für manchen in der DDR also auch Hoffnung darauf, den Sozialismus mit menschlichem Antlitz ungestört zu verwirklichen, die kulturelle Eiszeit zu beenden und den eigenen Weg zwischen Kapitalismus und Faschismus zu finden. Eine geplatzte Illusion mehr. An diese vergebliche Hoffnung erinnert Christa Wolf in ihrem Buch „Stadt der Engel“, wenn sie sagt: „ sie haben zuletzt ohne Illusionen, aber nicht ohne Erinnerung an ihre Träume gelebt“. Das KGB-Gefängnis oder der als „Linden-Hotel“ verspottete Stasi-Knast sind in Potsdam beredte Zeugnisse für den Irrweg des realen Sozialismus. Die in der DDR-Verfassung verankerte Funktion der SED als „marxistisch-leninistische Kampfpartei“ schrieb die Parteidiktatur fest und damit auch ihre Verantwortung für das Ende des zweiten deutschen Staates 20 Jahre später.

In der Nacht des 9. November 1989 fand ich mich wieder auf der Bornholmer Brücke, damals Interzonen-Übergang von West nach Ost. Wildfremde Menschen, die sich in die Arme fielen. Jeder Trabi wurde liebevoll getätschtelt, der sich langsam einen Weg durch die immer größer werdende Menschenmenge bahnte. Die Grenze war offen. Es wurde eine Nacht des Glücks und des symbolischen Endes der Teilung. Und es war eine Nacht ohne jeden nationalistischen Missklang. Einfach nur Freude. Die Mauer ist gefallen und es ist an jedem Einzelnen, die Mauer in den Köpfen, wenn sie dort noch stehen sollte, ebenfalls einzureißen.

Uwe-Karsten Heye

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