zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Mauerfall am Altersheim

Erst an einem Sonntagmorgen Ende April 1990 rissen DDR-Grenzer in der Exklave Klein-Glienicke den „Schutzwall“ ein

Stand:

An diesem Sonntagmorgen Ende April 1990 waren die alten Leutchen im Feierabendheim Wilhelm-Leuschner-Straße 9/10 in Klein-Glienicke noch immer eingemauert. Da rollten Soldaten des Babelsberger Grenzregiments „Walter Junker“ mit Bergungspanzern und anderem schweren Gerät an. Erstmals kamen sie nicht, um die Mauer zu Westberlin zu sichern und zu bewachen. Sie hatten vielmehr den Auftrag, sie auch an dieser Stelle einzureißen.

Für den Gefreiten Steffen Koch war das nichts Aufregendes mehr, hatte er mit seinen Genossen, so die Anrede im DDR-Militär, doch schon seit Anfang Dezember in Potsdam den Beton des „antifaschistischen Schutzwalls“ entsorgt. „Wichtiger ist für mich meine in drei Tagen bevorstehende Entlassung“, erklärte er voller Vorfreude der Reporterin der PNN-Vorgängerzeitung „Brandenburgische Neueste Nachrichten“.

Für die Heimbewohnerinnen und ihre Westverwandten, die sie erstmals wieder besuchen durften, war die „frische Luft für die Mauerinsel“ dagegen eine Feier wert. Sie nutzten das aus diesem Anlass vom Neuen Forum veranstaltete Volksfest mit Kaffee, Kuchen und Musik oder spazierten durch den Park. Vom Rollstuhl aus beobachtete Charlotte Ansorge, die von ihrem Sohn geschoben wurde, die Abrissarbeiten: „Gott sei Dank, dass auch diese Mauer endlich fällt.“ Andere Bewohnerinnen, am Ende ihres Lebens ans Bett gefesselt, konnten den befreienden Akt nicht mehr miterleben. Unter den Besuchern des Festes ein Potsdamer, der das Feierabendheim schon seit Anfang der 1980er Jahre kannte. Dort hatte man damals seine Schwiegergroßmutter aufgenommen, nachdem sie ihre Wohnung in Görlitz altersbedingt aufgeben musste. Bei 57 Plätzen auf 1000 Rentner erschien das als aussichtsloses Unterfangen. Angesichts der in der DDR-Zeit so hochwichtigen „Beziehungen“ gelang es doch. Dabei half, nun durfte er es zugeben, unter Umgehung der staatlichen Heimaufnahmekommission der damalige Kreisarzt, ein nicht der SED angehörender Landsmann aus dem Anhaltinischen. Doch auch er konnte nur einen Platz im Klein-Glienicker Heim im Grenzgebiet zur Verfügung stellen. Dort wurden Altenheime und Kindergärten ja gern angesiedelt, da die dort Betreuten schlecht ausreißen konnten.

Die letzten Tage von Charlotte Ansorge verliefen tragisch. Sie bekam keine Chance mehr, ihre Potsdamer Verwandtschaft zu besuchen. Der wiederum wurde es schwer gemacht, Passierscheine für das Feierabendheim zu erhalten. Sie mussten in den Räumen der Polizeiwache Babelsberg beantragt werden. Als der Uniformierte feststellte, dass der Personalausweis der Enkelin vor dem Ablauf stand, verweigerte er bis zur Neuausstellung den Passierschein. Nur deren frisch angetrauter Ehemann erhielt ihn, wurde aber bei seinem Besuch von der dementen alten Dame nicht erkannt. Dafür fragte sie immer wieder, wann denn die Enkelin kommt, deren Bild auf ihrem Nachttisch stand. Ehe der Passierschein ausgestellt wurde, war sie verstorben.

Nach dem Mauerfall wurde das Haus noch bis Anfang der 1990er Jahre als Altenheim genutzt. Es war 1858 von Ferdinand von Arnim errichtet worden und diente bis 1945 dem von dem Schul- und Sozialreformer Wilhelm von Türk begründeten Türkschen Waisenhaus. Das 9300 Quadratmeter große Grundstück mit den denkmalgeschützten Häusern wurde 2006 von der Wilhelm-von-Türk-Stiftung und dem „Landesausschuss für Innere Mission“ an ein Architekturbüro verkauft. Heute dient es Wohnzwecken.Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })