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Homepage: Medialisierung des Stadions

Filmwissenschaftler Lothar Mikos von der HFF über den Einfluss des Fernsehens auf den Fußball

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Noch zwei Monate bis zur Fußball-Weltmeisterschaft. Auch Potsdamer Wissenschaftler sind schon im Fußball-Fieber. In dieser Serie fragen die PNN, was die Experten am Fußball beschäftigt. Heute erklärt Lothar Mikos von der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF), welchen Einfluss das Fernsehen auf den Fußball hat und welche Trends die WM in Deutschland begleiten.

„Der Fußball und das Filmgeschäft sind sich sehr ähnlich: Man kann den Erfolg nie garantieren“, sagt Prof. Lothar Mikos. Ob Deutschland Weltmeister wird oder in der Vorrunde des Turniers ausscheidet, lässt sich nicht mit Gewissheit vorhersagen. Dafür ist das Drumherum des Sports sehr viel durchschaubarer. Größer, höher, weiter – das gilt vor allem für das Fernsehen, das von der WM in Deutschland berichten wird. In den 60er Jahren entschied sich der Weltfußballverband Fifa, seine alle vier Jahre ausgerichteten Weltspiele im Fernsehen zu zeigen. Seitdem stiegen die technische Qualität ebenso wie die der Verkaufspreis der Übertragungsrechte immer schneller an. Bei den Spielen 2002 in Japan und Süd-Korea wurden während der vier Wochen insgesamt 28,6 Milliarden Zuschauer gemessen. „Das heißt, dass jeder Erdenbewohner vier mal Fußball geschaut haben muss“, sagt Lothar Mikos. Das zeige die große Bedeutung, die das Fernsehen für das Ereignis Fußball hat. Nicht nur die TV-Anstalten, auch der Fußballverband profitiert. „Für die Fifa war das eine willkommene Gelegenheit, sich überall auf der Welt zu präsentieren und neue Mitgliedsstaaten zu gewinnen“, erläutert der Fernsehforscher.

Aber vertreibt so viel Fußball im Fernsehen die Zuschauer nicht aus den Stadien? „Die Befürchtung gab es. Der Deutsche Fußballbund war da zunächst sehr skeptisch“, so Mikos. In der Realität sei aber genau das Gegenteil eingetreten. „Je mehr Fußball im TV läuft, desto mehr Zuschauer wollen ins Stadion.“ Der Fan sei sich bewusst, dass Live- und TV-Fußball zwei verschiedene Sachen sind. Der Star-Effekt zieht die Fans ins Stadion. „Die Menschen gehen ja auch zu Live-Konzerte, obwohl sie den Künstler zu Hause auf CD oder DVD haben“, so Mikos. Das mag den klassischen Fan ärgern, führt aber neue Interessenten an den Sport heran.

Trotzdem hat das Fernsehen den Fußball im Stadion aber mit der Zeit beeinflusst. „Das Spiel selbst hat sich nicht geändert“, sagt Mikos. Aber das Fußballerlebnis ist auch im Stadion ein anderes geworden. Zeitlupen und Videowürfel führen zu einer „Medialisierung des Stadionerlebnisses“. Und ein wenig hat die bunte Fernsehwelt dann doch auch Einfluss auf das Spiel selbst genommen, muss Mikos einräumen. Denn seitdem alle Welt die Stars bei ihrem Tun beobachten kann, beginnt man auch in anderen Erdteilen von den großen Fußballnationen zu lernen. „Gerade die Afrikaner schauen regelmäßig die englische oder spanische Liga“, berichtet Mikos. Nur die Deutschen seien da „sehr arrogant“ und interessieren sich nur für ihre heimische Bundesliga. Die Folge: Das Niveau der Nationalmannschaften aus aller Welt steigt. Die Kleinen holen auf. Oder, wie es deutsche Nationaltrainer gerne ausdrücken: „Es gibt keine leichten Gegner mehr.“

Bleibt die Frage, ob der Fußball auch das Fernsehen beeinflusst? „Jede WM ist immer auch ein Grund, neue Technik einzuführen und neue Fernseher zu verkaufen.“ Das Wunder von Bern 1954 beispielsweise führte zur Durchsetzung des TVs in Deutschland. „Das war erstmals Fernsehen als Massenmedium“, sagt Mikos. Es folgten Farbfernsehen, der Zweitfernseher und neue Gerätegenerationen pünktlich zu jeder WM oder zu Olympischen Spielen. Zur diesjährigen WM setzt die Industrie auf HDTV und Flachbildschirme, die in den Märkten schon eifrig angepriesen werden.

Aber auch im Stadion wird die Technik immer moderner. Wo früher erst eine, dann drei Kameras standen, sind es heute mehrere Dutzend – am Spielfeldrand, unterm Stadiondach, auf Schienen fahrend, am Hängekran oder am Drahtseil über dem Anstoßkreis schwebend. Pünktlich zum Anstoß am 9. Juni werden sich die Fernsehmacher garantiert wieder eine neue Art der Übertragung einfallen lassen. Vielleicht endlich die Live-Übertragung aus der Spielerkabine. Denn schließlich ist die WM im Gegensatz zur Bundesliga auch bei Frauen sehr beliebt. „So ein Turnier ist ein Großereignis. Das kommt beim weiblichen Zuschauer besser an als das Alltagsgeschäft Bundesliga“, erklärt Mikos.

Und es gibt noch einen Trend, der zur WM einsetzt. Fußballfans entdecken den Sport wieder das Gruppenereignis. Riesenleinwände an öffentlichen Plätzen oder die Übertragung in der Kneipe macht dem einsamen Zuschauen vor dem heimischen Fernseher Konkurrenz. Vor allem die knappen Eintrittskarten zur WM in Deutschland sorgen für einen Boom der TV-Übertragung auf öffentlichen Plätzen. Das haben auch die Kirchen erkannt und sich die Lizenzen für die Übertragung gesichert. Praktisch: So kann der Fan gleich noch ein Stoßgebet für seine Mannschaft loswerden.

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