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Landeshauptstadt: Mehr als ein Dach überm Kopf Obdachlose richteten sich ihren Treff selber ein

Die Stimmung ist prächtig bei der Einweihung des neuen Obdachlosentreffs in der Friedrich-Engels-Straße, das die Akademie für Betriebswirtschaftliche Weiterbildung (bbw) betreut. Dieter (54) ist ziemlich schnell zum „Küchenchef“ avanciert, weil ihm Kochen und Backen Spaß macht.

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Die Stimmung ist prächtig bei der Einweihung des neuen Obdachlosentreffs in der Friedrich-Engels-Straße, das die Akademie für Betriebswirtschaftliche Weiterbildung (bbw) betreut. Dieter (54) ist ziemlich schnell zum „Küchenchef“ avanciert, weil ihm Kochen und Backen Spaß macht. „Ob ich einen artverwandten Beruf habe?“, wiederholt er die Frage lachend. „Ja, klar. Ich bin Maschinenschlosser.“

Der alte Standort in der City musste aufgegeben werden, nun haben die Wohnungslosen ein neues Domizil und das wurde weitgehend von ihnen selbst eingerichtet. „Sie wollten es so“, sagt die Potsdamer Niederlassungsleiterin von bbw, Ursula Schulze, und findet, dass sich das Resultat sehen lassen kann. Gemeinsam wurde tapeziert und gemalert, Fußböden verlegt, und Möbel oder Regale für die Aufenthaltszimmer selbst gefertigt. „Wir wollen unsere Arbeit gut machen, aber wenn wir zu gut sind, dann sind die Obdachlosen bald keine mehr“, sagt die bbw-Frau gutgelaunt. Bis zu 70 Obdachlose pro Tag habe man schon betreut, im Schnitt seien es 35 bis 40. Vor sechs Wochen seien die Räume angemietet, in Ordnung gebracht und eingerichtet worden. Zur Ausstattung gehören eine Küche, Aufenthaltsräume, ein Computerzimmer, eine gut ausstaffierte Holzwerkstatt, Büro und natürlich Toiletten. Eine Dusche soll noch eingebaut werden. Geöffnet ist die Einrichtung von 8 bis etwa 16 Uhr.

„Wo die Obdachlosem schlafen, das sagen sie uns meist nicht“, meint Projektleiter Jörg Baller. Aber so schweigsam sind die Männer – Frauen sind viel seltener obdachlos und kehren kaum im Treff ein – gar nicht. In der Winterkälte sind sie bei Zufallsfreundin und Schwester untergeschlüpft, auch im Obdachlosenheim oder in anderen warmen Ecken. Viele sind bereits wieder auf Wohnungssuche und werden dabei von Jörg Baller unterstützt. Der macht sich auch mit ihnen zu den Ämtern auf oder zur Schufa, um Schuldeneinträge abzuklären und Mittel und Wege zu finden, damit die ihnen nicht den Neustart verbauen. „Allein würden die Männer das gar nicht mehr schaffen“, meint Baller. Manchmal löse schon ein unbedachter Satz über eine Kontoeröffnung Panik aus. Neben Baller gibt es noch einen festangestellten Ausbilder in der Werkstatt und zeitweise helfen Psychologe, Juristin oder Bewerbungsfachmann aus.

Die Obdachlosen haben ihren festen Wohnsitz oft durch Trennung von der Frau/Freundin oder durch Überschuldung verloren und versuchen nun in der Gemeinschaft erneut Fuß zu fassen. Für Tino steht allerdings schon fest, dass er bei Frühlingstemperaturen wieder auf Wanderschaft geht. Er hat Arbeit als Maurer in Österreich und musste nur wegen des Frostes pausieren. Aus seiner Zeit als Selbstständiger schleppt er allerdings noch einige Schulden mit sich herum. Sebastian (29) sucht dagegen noch nach einem Bewährungsfeld. Sein erlernter Beruf war eine Notlösung. Beim Einrichten aber half er kräftig mit.

Da die Potsdamer Arbeitslosenagentur Paga nicht nur den Obdachlosen ein Tagegeld von 11,70 Euro zahlt, sondern auch die Betreuung mit 23,40 Euro pro Anwesenheitstag unterstützt, sah sich gestern Paga-Chef Frank Thomann die neue Einrichtung an und kostete sich gleich mal durch Dieters Küchenangebot. Dieter ist generell für das Essenangebot eigenverantwortlich. „Da mischen wir uns nicht ein“, sagt Baller. Hella Dittfeld

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