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Landeshauptstadt: Mehr gefährdete Kinder

Trendwende bei den Kosten für Hilfen zur Erziehung

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Die Kinder waren unterernährt, lebten in völlig verdreckten Wohnungen oder wurden von ihren Stiefvätern geschlagen: Im vergangenen Jahr sind dem Potsdamer Jugendamt 78 Fälle von Kindeswohlgefährdungen bekannt worden, in denen ein Beratungsgespräch mit einem Sozialarbeiter nicht mehr ausreichte. Vielmehr musste die Behörde in diesen Fällen so genannte Hilfen zur Erziehung anordnen – das sind Maßnahmen, die Eltern zustehen, wenn sie mit ihren Kindern überfordert sind. Im Extremfall heißt das, zum Beispiel die Kinder aus den Familien zu nehmen. Zum Vergleich: 2010 verhängte das Jugendamt nach gemeldeten Kindeswohlgefährdungen lediglich 42 solcher Hilfen zur Erziehung. Diese Zahlen stellten Sozialdezernentin Elona Müller-Preinesberger und Jugendamtschef Norbert Schweers am Donnerstag bei einem Pressegespräch vor.

Es ist das erste Mal, dass die Stadt derart detailliert über das Ausmaß von Kindeswohlgefährdungen in Potsdam und die daraus für den kommunalen Haushalt anfallenden Kosten berichtete. So habe es im vergangenen Jahr insgesamt 239 gemeldete Verdachtsfälle auf Kindeswohlgefährdung gegeben. Das sind 78 mehr als noch 2010. Eine genaue Begründung für den Anstieg vermochte Jugendamtschef Schweers nicht zu geben – Berichte über vernachlässigte, zum Teil sogar verstorbene Kinder hätten wohl auch in der Landeshauptstadt die Sensibilität für das Thema gesteigert. Er verwies auf das Jahr 2008, in dem sich am Schlaatz eine Mutter mit ihrer dreijährigen Tochter von einem Hochhaus in den Tod gestürzt hätte. In dem Jahr seien in der Folge sogar 298 Verdachtsfälle auf Kindeswohlgefährdung gemeldet worden.

Im Vergleich zu anderen Städten in der Bundesrepublik sei die Situation in Potsdam in Sachen Kinderschutz allerdings gut, sagte Schweers. So habe die Zahl der in Heimen und Wohngruppen untergebrachten Kinder in Potsdam im vergangenen Jahr bei nur noch 170 gelegen – in den Vorjahren dagegen bei 180 bis 200. Dieser Rückgang erfolge gegen den Bundestrend und trotz des Anstiegs der allgemeinen Kinderzahlen in Potsdam, betonte Schweers. Ebenso seien seit Jahren erstmals die allgemeinen Kosten der Stadt für Hilfen zur Erziehung gesunken, wozu auch regelmäßige Beratungen von gestressten Eltern gehören. Die Kosten für diese Pflichtleistung der Stadt seien von 13,8 Millionen Euro auf 13,5 Millionen Euro gesunken, so Schweers. In Potsdam habe sich bezahlt gemacht, das Jugendamt durch die Einstellung zusätzlicher Sozialarbeiter zu entlasten – dadurch hätte das Jugendamt mehr Zeit für Einzelbetreuung gehabt, die sonst möglicherweise an einen Sozialträger in Form einer Erziehungshilfe delegiert worden wäre, hieß es.

Derzeit arbeite die Stadt an der Umsetzung des zum Jahresanfang in Kraft getretenen neuen Kinderschutzgesetzes. Damit hätten die Jugendämter neue Aufgaben zu lösen, so Schweers. So gebe es eine Beratungspflicht für Kommunen für Vereine und Institutionen, wenn dort Fragen zum Thema Kinderschutz auftauchen. Ebenso müsste das Jugendamt Netzwerke zum Thema Kinderschutz aufbauen, um „Kommunikationslöcher“ gar nicht erst entstehen zu lassen. Zugleich betonte Müller-Preinesberger, dass zum Beispiel Kinderärzte nun melden müssten, wenn sie einen konkreten Verdacht auf Gewalt in Familien hätten. Hier gehe „Kinderschutz vor Datenschutz“, sagte die Beigeordnete. Über die Zahlen und die Pläne der Stadt diskutiert nächste Woche der Jugendhilfeausschuss. Henri Kramer

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