Landeshauptstadt: Mehr Licht – länger Licht
Potsdams Weg zur modernen Infrastruktur
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Als König Friedrich Wilhelm IV. 1855 auf dem Luisenplatz einen Springbrunnen anlegen lässt, hat er damit nicht nur die Verschönerung im Sinn. Das Wasser reinigt über ein Rohrsystem gleichzeitig die verschmutzten Rinnsteine am Brandenburger Tor, deren übler Geruch bis in den Park Sanssouci dringt. Den langen, komplizierten Weg Potsdams vom schmuddeligen Landstädtchen zur Residenzstadt mit moderner Infrastruktur schilderte Dr. Clemens Bergstedt kürzlich im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Der heutige Direktor des Mittelaltermuseums Burg Ziesar hat während seiner früheren Tätigkeit bei der Energieversorgung Potsdam eine – bisher unveröffentlichte – Geschichte der Stadtwerke verfasst, die „den Alltag der Stadt und ihrer Menschen abseits der Schlösser und Gärten“ widerspiegelt.
Wenn sich beispielsweise der Eisenbahnsekretär Dobrzynski frühmorgens auf den Weg zur Arbeit machte, stolperte er über unbeleuchtete und schlammige Gehwege. „Ueber aus bespritzt und beschmutzt gelangt man zum Bahnhof, da man tatsächlich nicht sehen kann, wo man den Fuß hinsetzt“, beschwert er sich. „Ich ersuche daher ergebenst, die Gasbeleuchtung über die Brücke bis 8 Uhr ausdehnen zu wollen. Göthe rief “Mehr Licht“ - “länger Licht“ rufe ich als des Magistrats hiesiger Stadt sehr ergebener Paul Dobrzynski.“
1856 war das Gaswerk an der Schiffbauergassse in Betrieb genommen worden, danach erhielt Potsdam eine Gasbeleuchtung, die nach und nach die Öllampen ablöste. Damit hinkte es Berlin drei Jahrzehnte hinterher, wie auf den meisten Gebieten der Infrastruktur. Noch um 1850 bezog die Bevölkerung ihr Trinkwasser aus 100 Brunnen. Da Abwasser und Fäkalien zur Straße oder in den Stadtkanal entsorgt wurden, war das Grundwasser oft mit Keimen belastet. Durchfälle häuften sich, Cholera brach aus. Erst der Bau des ersten Wasserwerkes in der Bertinistraße (1876), des ersten Klärwerks an der Holzmarktstraße (1887) und die Übernahme der Straßenreinigung durch die Stadt (1884) sorgten für bessere, wenngleich immer noch mangelhafte hygienische Verhältnisse. Clemens Bergstedt erwähnte die Querelen um Standorte, Vergabe und Konzessionen, die all diesen Bauten vorangingen und würzte sie mit Seitenhieben auf die Vergabepraxis der heutigen Stadtverwaltung.
Schwer in Gang kam in Potsdam auch die Nutzung der Elekroenergie. Die Gasgesellschaft pochte auf ihr Monopol für die Energieversorgung, das erst 1897 gebrochen werden konnte. 1902 ging dann das E-Werk an der Zeppelinstraße ans Netz. Mit der Beauftragung des jungen Georg Klingenberg, einem Pionier des Kraftwerkbaus, gelang der Stadt ein Glücksgriff. Er legte es gleich auf Wechselstrom an. Das Gebäude selbst, 1930 stilwidrig umgebaut und heute leer stehend, stellte ein Musterbeispiel damaliger Industriearchitektur dar, mit Skulpturenschmuck und einer mit italienischem Marmor ausgekleideten Halle für die Schaltanlagen, die noch erhalten ist. Am 2. September 2007 nahm dann auch die elektrische Straßenbahn den Betrieb auf. In Berlin war damit schon 1881 begonnen worden, in Potsdam fuhr damals gerade mal seit einem Jahr die Pferdebahn.
In seinem Vortrag sah Clemens Bergstedt die Tätigkeit des damaligen Magistrats aber nicht einseitig kritisch, sondern billigte ihm auch Erfolge zu. So habe er geschickt unrentable Zweige wie Abwasserklärung oder Müllentsorgung durch den Aufkauf gewinnbringender Betriebe kompensiert, zu denen neben Gas- und E-Werk damals sogar die Straßenbahn gehörte. Der Erfolg: 1924 wurde für Potsdam festgestellt, dass es deutschlandweit seinen Bürgern mit die geringsten Steuern und Abgaben abverlange. Dies könne man für die heutige Zeit nicht sagen.
Der Historiker stellte sich anschließend den Fragen des nicht großen, aber fachkundigen Publikums – so, wie Potsdam heute mit Gas und Strom versorgt wird. Ersteres wird als Erdgas ausschließlich von auswärtigen Anbietern geliefert; bei Elektroenergie ist die Stadt bis auf geringe Zukäufe nach „Selbstversorger“.
Erhart Hohenstein
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