
© A. Klaer
Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam: Mehr Strahlkraft für das Unikat
Die Gedenkstätte Lindenstraße ist jetzt eine Stiftung. Die neue Chefin will das Haus bekannter machen. Erstmals gibt es dafür auch genug Geld.
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Potsdam - Mehr Bildung, bessere Werbung, europaweite Vernetzung und dadurch auch mehr Besucher – Uta-Ulrike Gerlant hat große Pläne für die Gedenkstätte Lindenstraße. Erst vor einer Woche wurde die 50-jährige gebürtige Potsdamerin zur neuen Chefin des Hauses ernannt, das wie kein anderes Gebäude in der Stadt von der Grausamkeit der Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts geprägt wurde. Nach einem mehr als drei Jahre währenden Anlauf befindet sich die Einrichtung nun auch in der lange geplanten neuen Form der Trägerschaft: Stadt und Land haben dafür eine gemeinsame Stiftung gegründet, deren Vorstand Gerlant ist. 600 000 Euro hat sie für ihre Arbeit künftig pro Jahr zur Verfügung, die die Stadt und das Landeskulturministerium je zur Hälfte zahlen.
Die Gedenkstätte in der Potsdamer Innenstadt hat eine herausragende Bedeutung
Und Arbeit gibt es genug. Rund 20 000 Besucher zählte die Gedenkstätte im vergangenen Jahr – für eine Einrichtung mit dieser Bedeutung gebe es da noch viel Potenzial, befand Kulturstaatssekretär Martin Gorholt (SPD) am Montag bei der Vorstellung der Pläne. Unter den vielen Gedenkstätten für die Opfer politischer Willkür in Brandenburg rage die Einrichtung in der Lindenstraße mit ihrer wechselvollen Geschichte heraus, so Gorholt. In dem 1734 errichteten Backsteinbau tagte unter anderem während der Nazi-Diktatur das sogenannte Erbgesundheitsgericht, das mehr als 4000 Menschen zur Zwangssterilisation verurteilte. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges nutzte erst der sowjetische Geheimdienst das Gebäude, von 1952 bis 1989 war es dann Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit. Experten gehen von mehr als 6200 Häftlingen in dieser Zeit aus, davon 900 Frauen.
Ein solches Haus gebe es landesweit nicht noch einmal, sagte Gorholt; auch Gerlant sprach von einem Unikat, dessen „überregionale Strahlkraft“ es zu stärken gelte. Die neue Leiterin bringt dafür beste berufliche Qualifikationen mit. Die Historikerin hat sich bereits in den 90er-Jahren als Freiwillige bei der Menschenrechtsorganisation Memorial in Sankt Petersburg um Gulag-Überlebende gekümmert. Deren Schicksale hätten sie tief bewegt, erklärte Gerlant. Seit 2001 arbeitet sie bei der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und war dort für die Auszahlung von Hilfsgeldern an ehemalige NS-Zwangsarbeiter aus Polen und der Ukraine zuständig, seit 2008 ist sie dort Vorstandsreferentin.
Die neue Leiterin verbindet selbst ein tragisches Erlebnis mit dem Haus
Die künftige Arbeit in der Potsdamer Gedenkstätte sei für sie eine große Herausforderung, sagte Gerlant, die selbst eine tragische Beziehung zur Geschichte des Gebäudes hat. 1983 sei ein sehr guter Freund von ihr wegen der Teilnahme an der Veranstaltung „Schweigen für den Frieden“ im damaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis inhaftiert gewesen, erzählte sie. Zu 18 Monaten Haft verurteilt habe man ihn später gegen seinen Willen nach Westberlin abgeschoben, wo er sich zwei Jahre später das Leben nahm. Es sind solche persönlichen Geschichten, auf die Gerlant einen Schwerpunkt ihrer künftigen Arbeit legen will. Sie hoffe, dass sich viele Potsdamer in der Gedenkstätte melden und ihre Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Gebäude schildern. Dabei gehe es nicht nur um die DDR-Zeit, sondern auch die Jahre der Nazi-Diktatur. Es gehe darum, „aus dem Schweigen herauszutreten.“
Die Gedenkstätte solle künftig aber nicht nur ein Ort sein, an dem es um die Aufarbeitung von Geschichte gehe. Auch Bildungsveranstaltungen zu Menschenrechtsfragen könnten hier stattfinden, sagte Gerlant. Verwaltungsangestellte, Polizisten, Soldaten oder Studenten könnten in den Räumen Schulungen oder Seminare zu Ethikfragen abhalten. Zudem wolle sie die Potsdamer Einrichtung mit vergleichbaren Gedenkstätten vernetzen, kündigte Gerlant an. Beispielsweise gebe es im litauischen Vilnius und im ukrainischen Lwiw (früher Lemberg) Orte, die sowohl dem sowjetischen Geheimdienst NKWD als auch – während des Zweiten Weltkriegs – der Gestapo als Gefängnisse dienten. Generell mangele es in Europa noch an einem Austausch über die Erinnerungskultur, beklagte Gerlant.
Die Gedenkstätte als solche soll besser erkennbar werden
Einig waren sich alle Beteiligten, dass die Einrichtung – obwohl zentral gelegen – viel zu wenig von dem Standortvorteil profitiere. Die Millionen von Touristen, die jährlich Potsdams Innenstadt bevölkern, nähmen das Haus kaum wahr. Claus-Peter Ladner von der Fördergemeinschaft Lindenstraße wünschte sich ein gut erkennbares Schild, auf dem die Geschichte des Hauses erklärt werde. Auch fehle es an einem Leitsystem vom Hauptbahnhof, klagte er. Birgit-Katharine Seemann, Fachbereichsleiterin Kultur und Museum, sicherte dafür ebenso ihre Unterstützung zu wie Staatssekretär Gorholt. Auch, wenn es Widerstand von der Denkmalpflege geben könne, sei doch „sicher alles gut und richtig“, was dazu beitrage, dass mehr Menschen diese Gedenkstätte besuchten, so Gorholt.
Wie viele Mitarbeiter die Gedenkstätte künftig haben wird, ist noch offen. Von vier bis fünf sei man in der ersten Planung ausgegangen, sagte Seemann. Dies werde Aufgabe des Stiftungsvorstands sein. Gerlant wird ihren neuen Job allerdings erst im Sommer, nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bei der anderen Stiftung, antreten. Welchem Thema sich die erste der von ihr geplanten Sonderausstellungen widmen soll, steht noch nicht fest. Erst wolle sie sich einen Überblick verschaffen. „Und ich werde sehr genau zuhören“, versprach sie.
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Ein frischer, vielversprechender Wind weht in der Lindenstraße. Ein Kommentar >>
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