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Nervenflattern. Vor allem Studenten der ersten Semester haben immer häufiger Schwierigkeiten, den Lernstress an der Hochschule zu bewältigen.

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Studenten brauchen häufiger psychologische Beratung: Sie leiden unter dem neuen, straffen Studiensystem

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Brandenburgs Studenten sind im Stress: Mit Depressionen, Prüfungsängsten, Beziehungsproblemen und anderen Sorgen suchen immer mehr Studierende die psychologischen Beratungsstellen der Hochschulen und des Studentenwerks auf. Besonders jetzt, zum Ende des Semesters, wenn zahlreiche Prüfungen anstehen, ist der Stresslevel hoch, berichten die Psychologen aus ihren Beratungen. Vor allem junge Studenten und die, deren Studiengänge wegen der Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem abgeschafft werden sollen, stünden immer häufiger unter einem gewaltigen Druck.

„Die Sprechstunden in der psychotherapeutischen Beratungsstelle sind regelmäßig ausgebucht“, sagt Gudrun Wewetzer, Sprecherin des Studentenwerks Potsdam. Nahmen im Jahr 2009 noch 161 Studenten die kostenlose Hilfe in Anspruch, waren es im Jahr 2011 schon 192. Auch im Studentenwerk Frankfurt (Oder) stieg die Zahl der Beratungen von 54 auf 85 an. Zwar sei parallel auch die Zahl der Studierenden leicht gestiegen, dennoch sei der Trend beachtenswert, sagt Wewetzer.

Seit 15 Jahren gibt es die kostenlosen Beratungen vom Studentenwerk Potsdam. Zweimal in der Woche, insgesamt fünf Stunden, ist die ausgebildete Psychologin und Psychotherapeutin Anne Hermanns für die Sorgen und Ängste der Studenten da. Seit zwei Jahren gibt es auch Sprechstunden an der Fachhochschule in Brandenburg und an der Technischen Fachhochschule in Wildau. Auch das Studentenwerk Frankfurt (Oder) oder die Uni Potsdam bieten psychologische Hilfe an.

Gesprochen wird in den Sitzungen immer häufiger über Prüfungsängste, Beziehungsprobleme, Depressionen, Magersucht aber auch Selbstmordgedanken sowie Zukunfts- oder Versagensängste. Laut neuesten Statistiken der Studentenwerke plagen sich Studierende auch mit Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche oder Antriebsarmut. Immer häufiger denken sie auch über einen Studienabbruch nach.

Die Zahlen stehen im Gegensatz zu den Ergebnissen zweier aktueller, bundesweiter Umfragen des Allensbach- und des Instituts für Hochschulforschung. Die zeichnen das Bild von zufriedenen und zuversichtlichen Studenten.

Psychologin Anne Hermanns hat in ihren Beratungen einen anderen Eindruck gewonnen: „Die Studiensituation hat sich für viele verändert.“ Der Druck sei seit der Umstellung des Studiensystems auf die Bachelor- und Masterstudiengänge gestiegen. Nur wer die Prüfungen besteht und die Regelstudienzeit einhält, wird finanziell vom Staat gefördert. In das Büro der Psychologin am Potsdamer Hauptbahnhof kommen vor allem Studenten der ersten Semester. Sie haben Schwierigkeiten den Lernstress zu bewältigen. Das Leben ändert sich. Neue Kontakte müssen geknüpft werden, der Auszug bei den Eltern steht an. „Viele haben sich das Studium einfacher vorgestellt“, sagt Hermanns.

Stress spielt auch im Studium an der Universität Potsdam eine große Rolle, berichtet Birgit Klöhn, die Psychologin an der Uni-Beratungsstelle ist. Sie ist viermal in der Woche für die Studierenden da. Bis zu 20 Studenten berät sie jede Woche, insgesamt rund 300 Studenten im Jahr. „Manche kommen nur ein- bis dreimal, andere regelmäßig.“ Auch Klöhn sagt: Die Studenten hätten ein hohes Pensum zu absolvieren. Studium, Nebenjob und mitunter stundenlange Anfahrten zur Uni. Wenn dann Probleme in der Partnerschaft oder mit dem Elternhaus dazukommen, bricht eine Welt zusammen. Ängste oder Depressionen entstehen. Das neue Bachelor- und Master-System habe zwar feste Strukturen geschaffen – den einen helfen sie, den anderen aber nicht, sagt Klöhn. „Es ist schwieriger geworden, im eigenen Tempo zu studieren.“ Der Druck ist groß, mitzuhalten.

Es sind vor allem Frauen, die in den Beratungsstellen Hilfe suchen. „Die Männer kommen erst, wenn die Probleme richtig groß sind – meist schon zu groß“, sagt Klöhn. Dabei unterscheiden sich ihre Sorgen nicht von denen der Frauen. Auch Männer haben Angst vor Prüfungen oder Angst vor den Kommilitonen Referate zu halten. Da die Ängste bei den Männern oft schon tief verwurzelt sind, helfe dann meist nur noch eine langfristige Psychotherapie, sagt Klöhn.

Auch Daniel Sittler vom AStA der Universität Potsdam weiß um den Stresslevel der Studenten. „Man sieht einigen den Stress geradezu an.“ Zum Ende des Semesters füllen sich die Beratungsstellen des AStAs. Auch wenn hier keine Psychologen sitzen, werden trotzdem ähnliche Probleme besprochen, sagt Sittler. Fallen Studenten durch die Prüfung oder wird ihr Studiengang abgeschafft, sehen viele ihre Lebensplanung oder gar die Existenz gefährdet.

Deshalb fordert der AStA, in ganz Brandenburg das Teilzeitstudium in allen Fachrichtungen einzuführen. „Damit kann man das Studium entzerren.“ Prüfungen sollten zudem nicht geballt am Ende eines Semesters anfallen, sondern verteilt über die gesamte Vorlesungszeit, so Sittler. Auch den Dozenten sollte mehr Zeit für die Probleme der Studenten eingeräumt werden. Viele Sorgen würden so erst gar nicht entstehen. Zudem müssen sich die Hochschulen auf die jünger werdenden Studenten einstellen, fordert Sittler: „Vielleicht muss man anders mit ihnen umgehen.“

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