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Der ZZF-Doktorand Jan-Philipp Wölbern will Licht in ein finsteres Kapitel der DDR-Geschichte bringen
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Es war eines der bestgehüteten deutsch-deutschen Geheimnisse bis 1989: Ostberlin „verkaufte“ 26 Jahre lang politische Gefangene im großen Stil. Von 1963 an schob der Arbeiter- und Bauern-Staat insgesamt 34 000 Oppositionelle, „Republikflüchtlinge“ und andere Unbequeme in den Westen ab – und kassierte dafür Waren im Wert von mehr als drei Milliarden D-Mark. Seit 1990 darf das jeder wissen, doch das öffentliche Interesse blieb bis heute eher gering. Nicht so vergangene Woche in der Gedenkstätte „Lindenstraße 54/55“, wo Jan Philipp Wölbern, Doktorand am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF), seine Studien zu diesem finsteren Kapitel der DDR-Geschichte vorstellte. Im Publikum auch Frauen und Männer, die selbst vor Jahrzehnten die Freikauf-Lösung erlebt hatten.
Komprimiert und anschaulich skizzierte Jan Phillipp Wölbern die Vorgeschichte der Häftlings-Freikäufe. In den 50er Jahren beschrieb er die ersten, eher abenteuerlichen „Deals“ um Strafgefangene DDR-Bürger und ihre spätere, schleichende Institutionalisierung. Bis heute mutet vieles nicht nur makaber, sondern nahezu skurril an. „Inhaftierte wurden in den Westen freigekauft, ohne die Hintergründe dafür zu kennen“, berichtete der junge Historiker. So mag es gut sein, dass manch Betroffener bis heute die Vorgänge nicht kennt. Die Bundes-Regierung versuchte zu helfen, was allein schon an den gezahlten Summen erkennbar wird. Doch agiert wurde vorsichtig, nichts sollte an die Öffentlichkeit dringen.
Zu den Schlüsselfiguren auf westlicher Seite zählten der Anwalt Jürgen Stange, die Politiker Erich Mende (FDP), Rainer Barzel (CDU) und Herbert Wehner (SPD), aber auch der EKD-Bevollmächtigte Hermann Kunst. Auf ostdeutscher Seite zogen der so legendäre wie umstrittene Anwalt Wolfgang Vogel und die MfS-Offiziere Heinz Volpert und Gerhard Niebling die Fäden. Um die „geschäftliche Seite“ der Aktionen, also die Gegenleistungen für die DDR, kümmerte sich unter anderem auch Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski. Ab 1974 pendelte die Zahl der jährlich „verkauften“ Frauen und Männer meist zwischen 1000 und 2000.
Ein eingespieltes System war entstanden, das Zehntausenden Menschen ihre Freiheit zurück gab, den Strategen links und rechts der Mauer aber auch gehörige Kopfschmerzen bereitete: Für jene im Westen blieb ein Beigeschmack, mit horrenden Gegenleistungen – Lebensmittel, Rohstoffe, Devisen – das SED-Regime ökonomisch zu stützen. Im Osten debattierten Stasi und Genossen ihrerseits über ideologische Rechtfertigung und die Logik des Ganzen. „Selbst innerhalb der Staatssicherheit kam es zu Kontroversen“, weiß Jan Philipp Wölbern. „Einzelne MfS-Bezirksleiter kritisierten die gängige Praxis vor allem deshalb, weil sie eine Sogwirkung auf Oppositionelle und Ausreisewillige befürchteten.“ Besonders hart wurde um so genannte „Z-Fälle“ verhandelt – Personen, die auf der Freikauf-Liste der Bundesregierung standen, aus verschiedensten Gründen vom MfS aber zurückgehalten wurden.
Zur Perfidie der Ostberliner „Händler“ gehörte auch, dass sie in den 70er Jahren die geforderte „Pro-Kopf“-Summe erhöhten, die Zahl der tatsächlich Freigelassenen manipulierten und ebenso versuchten, bei den Übersiedlungs-Aktionen auch kriminelle Straftäter loszuwerden. „Hier steht die Frage, ob sich die Bundesregierung manchmal zu entgegenkommend verhielt, ob sie sich hier und da auch hätte verweigern können“, so Wölbern. „Denn offenbar war in den 80er Jahren die Devisen-Not der DDR schon so groß, dass sie auf den Handel mit Strafgefangenen nicht mehr verzichten wollte.“
Einige Forscher gehen nun der Frage nach, ob die Staatssicherheit am Ende nicht gar „verhaftete, um zu verkaufen“ – ein Verdacht, den verschiedene Menschenrechtsgruppen schon damals erhoben. Ob sich dies noch klären lässt, bleibt allerdings ungewiss. Viele Dokumente zum Menschenhandel vernichteten die MfS-Stellen scheinbar noch vor der eigenen Selbstauflösung. Umgekehrt sind relevante Archivbestände im Westen, über deren Zugang das Bundesinnenministerium verfügt, noch fast komplett gesperrt. Wölberns’ Anträge auf weitere Akteneinsichten wurden bisher glatt abgewiesen – auch mit der pikanten Begründung, die „Interessen befreundeter Dienste“ seien betroffen. Olaf Glöckner
Olaf Glöckner
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