Von Bernd Kluge: „Michael Kohlhaas“: Ein ganzes Dorf macht Theater
Leben und Werk des um 1500 geborenen Tempelbergers Hans Kohlhase soll literarische Vorlage für die Novelle
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Tempelberg - Auf den ersten Blick ist Tempelberg bei Müncheberg ein typisch brandenburgisches Dörfchen mit vier Teichen und einer Kirche. Dass es sich wahrscheinlich um einen Ort mit besonderer Geschichte handelt, erfährt der Besucher erst, wenn er abfährt vom Oderbruchbahn-Radweg oder den wiederentdeckten Jakobsweg verlässt. Wer sich Zeit nimmt für Tempelberg, entdeckt nicht nur das Templerkreuz auf einem Stein in der äußeren Wand der Feldsteinkirche, sondern auch den Gedenkstein für einen gewissen Hans Kohlhase unweit des Gotteshauses.
Leben und Werk dieses um 1500 geborenen Tempelbergers soll literarische Vorlage für die Novelle „Michael Kohlhaas“ des Dichters Heinrich von Kleist gewesen sein. Exakt nachzuweisen ist es nach Angaben von Arnold Bischinger, künstlerischer Leiter des Frankfurter Kleistforums nicht, dass Hans Kohlhase in Tempelberg geboren wurde, weil Kirchenbücher laut dem Frankfurter Kleist-Museum erst ab 1530 geführt worden waren. „Mehrere Kleist-Forscher gehen aber unabhängig voneinander davon aus, weil die Familie Kohlhase aus der Gegend um Tempelberg stammt“, sagt er. Letztlich nicht klar ist nach seinen Angaben auch, wie der Dichter Kleist auf die 300 Jahre zurückliegende Geschichte von Hans Kohlhase aufmerksam wurde. Vermutlich war Kleists Freund Ernst von Pfuel der Informant. „Er stammte aus dem nahe Tempelberg gelegenen Jahnsfelde und ist dort auch begraben“, sagt Bischinger. „Bis zur Jahrtausendwende wusste niemand in Tempelberg, dass der Ort einen so berühmten Sohn hat“, sagt Kerstin Hellmich. Die freischaffende Künstlerin engagiert sich im Förderkreis „Tempelberger Kirche“, der seit drei Jahren den Kirchensommer organisiert, um Spenden zur Rettung des maroden Gotteshauses aus dem 13. Jahrhundert zu sammeln.
Dass das komplette Dorf in diesem Zusammenhang sogar Kulisse für die Kleistsche Novelle sein könnte, hätte sich Hellmich nie träumen lassen. Doch als Bischinger den Kohlhase-Gedenkstein im Sommer 2008 entdeckte und mit der Idee eines Theaterspektakels auf sie zukam, ließ sich die 55-Jährige begeistern. „Wir bemühen uns seit Jahren, Kleist und seine Werke stärker in die umliegende Region zu tragen. Tempelberg kommt uns da gelegen“, sagt Bischinger. Auch wenn der Ort nur knapp 200 Einwohner hat, war die gebürtige Berlinerin Hellmich überzeugt, „dass wir es durch das oft bewiesene Engagement schaffen können“. Die Bereitschaft im Ort sei bei den ersten Produktionsberatungen deutlich geworden, wenn auch nicht jeder unbedingt ins Rampenlicht wolle, sagt sie. Die Tempelberger seien stets mit Herzblut bei der Sache.
Zu den „Ureinwohnern“ gehört Helmut Sippel. Der 69-Jährigen will bei dem Theaterspektakel dabei sein. „Dann ist hier echt mal was los“, sagt Sippel, der beteuert, auch seine Nachbarn seien schon gespannt auf die Ende September beginnenden Proben. „Die Hauptrollen übernehmen professionelle Schauspieler“, sagt Hellmich. Schließlich wird die Kohlhaas-Inszenierung nicht nur laienhaftes Spiel, sondern ist der externe Höhepunkt der diesjährigen Frankfurter Kleistfesttage im Herbst. Aber Tempelberg dient nicht nur als authentisches Bühnenbild, die Einwohner dürfen mitmachen – ob nun vor oder hinter den Kulissen. Statisten und Darsteller mit kleinen Sprechrollen werden ebenso gebraucht wie Helfer für Technik, Kostüme, Beleuchtung und Verpflegung. Die Tempelberger Line Dancer werden laut Hellmich ebenso in die Inszenierung integriert wie der Chor des Ortes und Kinder.
Künstler des Frankfurter Theaters des Lachens werden als Erzähler fungieren, führen das Publikum zu den einzelnen Szenen quer durch den Ort und berichten aus dem Leben eines rechtschaffenden Mannes, der im Kampf um Wiedergutmachung und für die Prinzipien der Gerechtigkeit alles riskiert. So wie Kleists „Michael Kohlhaas“ soll sich Rosshändler Hans Kohlhase tatsächlich einst mit dem Staat angelegt und sein Recht schließlich mit Gewalt verschafft haben. Die Sache nahm einen tragischen Ausgang: Er wurde nach seiner Verurteilung 1540 in Berlin aufs Rad geschnallt und getötet.
Bei Kleist spielen die Auseinandersetzungen Kohlhaases auf dem Weg nach Sachsen. „Doch wer sagt denn, dass sich das Ganze in Wahrheit nicht in Tempelberg abgespielt haben kann“, fragt Bischinger. Ihre Premiere erlebt die zweistündige Tempelberger Inszenierung am 16. Oktober, eine zweite Vorstellung am 18. Oktober beschließt die Frankfurter Kleist-Festtage. Sollte das Theaterspektakel beim Publikum gut ankommen, soll es weitere Aufführungen im Kleistjahr 2011 geben.
Bernd Kluge
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