Landeshauptstadt: Michelangelo bei Volkswagen
Erstmals öffnete das VW-Design-Center an der Schiffbauergasse seine Türen – hier werden die Fahrzeuge der Zukunft kreiert
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Berliner Vorstadt - In der 600 Quadratmeter großen Präsentationshalle steht ein „Magellan“. Ein wuchtiger Geländewagen, ein Einzelstück. Zum ersten Mal, seitdem das VW-Design-Center in Potsdam vor eineinhalb Jahren seine Arbeit aufnahm, öffnete es gestern seine Pforten für Journalisten. Ansonsten unterliegt das Innere des von Architekt Moritz Kock entworfenen, 27 Millionen Euro teuren Bauwerks an der Schiffbauergasse 365 Tage im Jahr strengster Sicherheit. „Hier entstehen schließlich die Autos von morgen“, sagt Hartwig von Saß von der VW-Konzernkommunikation. Würden heute schon Bilder von einem „Erlkönig“ veröffentlicht, wie Prototypen auch genannt werden, entstünde VW „ein Wettbewerbsnachteil“.
Aus diesem Grund sind die anderen Autos in der Halle mit Planen abgedeckt. Diese zu lüften, werden die Journalisten dringend aufgefordert zu unterlassen. „Einige Design-Entwürfe haben wir heute sogar versteckt“, ergänzt Murat Günak. Er ist der Leiter der VW-Konzerndesign-Abteilung. VW sagt er, „ist ein Kronjuwel der automobilen Welt“. Die Rohdiamanten dafür würden in Potsdam geschliffen. Ein Auto sei „ein höchstemotionales Objekt“. Dazu einem Pferd nicht unähnlich. Es bringt einen von A nach B, es wird gefüttert und gestreichelt, die Garage steht gleich neben dem Haus, es gehört zur Familie. „Man gibt keinem Bügeleisen einen Kosenamen“, erklärt Murat Günak. „Einem Auto aber schon.“
Murat Günak ist derzeit Chef von 263 Mitarbeitern von VW Design, das sich an zwei Standorten in Deutschland befindet: Potsdam und Wolfsburg. Am Stammsitz des Konzerns leitet Klaus Bischoff die Kreativschmiede. Angesichts des weißen Potsdamer Design-Palastes am Tiefen See sagt Bischoff: „Da kommt der Neid durch.“ Das Ambiente in Wolfsburg sei „nicht so attraktiv“. Dafür arbeite er in Wolfsburg „im Herzen der Marke“, das ergebe ein produktives Spannungsverhältnis zwischen den beiden Design-Centern. „Natürlich arbeiten wir in Konkurrenz zu Wolfsburg“, sagt Thomas Ingenlath, der Chef des Design-Centers Potsdam. Aber es sei „eine positive Konkurrenz“.
Ingenlath ist ein sportlicher Mittdreißiger, der das Aussehen des aktuellen Skoda Octavia gestaltet hat. Das war aber noch an anderer Stelle. Bis die ersten Autos, deren Design in Potsdam entworfen wurde, durch die Straßen rollen, vergehen laut Ingenlath noch eineinhalb bis zwei Jahre. Gegenwärtig werde in Potsdam gleich an vier VW-Modellen gearbeitet. „Alle kommenden Autos der nächsten vier Jahre sind in unserem Orbit“, wie Ingenlath sagt. Derzeit arbeiteten 70 Festangestellte im Design-Center, dazu etwa 20 „Freelancer“, freie Mitarbeiter.
Der Hausherr führt über die Design-Galerie. Hier entstehen die ersten Entwürfe, von hier haben die zumeist jungen Designer einen Feldherrenblick durch die Halle, deren Jalousien sich auf Knopfdruck öffnen lassen und den Blick zum Himmel freigeben, und durch die Glasfront hin zum See. Der Chef spricht die Designer, die fast alle Turnschuhe anhaben, mit Vornamen an. Einer heißt J.P. und kommt aus England, Sascha kommt aus Russland. Sie zeichnen traditionell mit Stift und Papier oder auf einer digitalen Unterlage, die gezeichneten Linien erscheinen sofort auf dem PC-Monitor, der zweidimensionale Abbildungen zeigt. Dreidimensional geht es eine Etage tiefer zu. Hier können die Entwürfe in 3-D visualisiert werden. Ein 3-D-Film macht aus dem Zuschauer eine Fliege, die durch das Innere und über das Armaturenbrett eines Golf Plus fliegt.
Doch trotz höchster Rechnerleistung „kann man erstaunlich viel nicht am Computer sehen“, verrät Ingenlath. Ein Zehntelmillimeter entscheide, ob das Auto einen kraftvollen Eindruck macht „oder ob es in der Mitte durchhängt“. Deshalb werden aus favorisierten Entwürfen Modelle in echter Größe hergestellt. Dies geschieht mit technischem Ton, der bei einer Temperatur von 50 Grad Celsius formbar wird. Mit einem Fön wird Schicht um Schicht aufgebracht. Dann wird getan, was schon Michelangelo am Marmorblock tat, um eine Skulptur zu schaffen: Das, was zu viel ist, wird entfernt. In diesem Fall feilen und spachteln die VW-Mitarbeiter an dem braunen Ton, bis glatte Oberflächen entstehen. Dann bringen sie silberne Folien auf, die dem Auto ein täuschend echtes Aussehen verleihen. Für die gestrige Besichtigung wurde allerdings nur ein Golf Plus hervorgeholt. Die aktuellen Modelle blieben verhüllt.
Bischoff und Ingenlath berichten vom „sich raufen“ mit Ingenieuren in Wolfsburg, die die Design-Ideen umsetzen müssen. Den 263 Designern stünden 10 000 Ingenieure gegenüber, „eine riesige Fraktion“, so Bischoff. Aber die Designer neigten dazu, sich durchzusetzen. Geht ein Modell in Serie, bleiben laut Ingenlath vom Urentwurf etwa 60 Prozent übrig.
Der Auto-Designer kreiere die automobile Welt der Zukunft – der dicke „Magellan“ in der Präsentationshalle entpuppt sich aber als ein Objekt der Nostalgie. Wie Ingenlath sagt, haben viele der Potsdamer Designer zuvor in einem spanischen VW-Design-Center gearbeitet. Dort ist der „Magellan“ entstanden. Magellan war der Entdecker der nach ihm benannten Straße. Ein passender Name für ein Auto.
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