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Landeshauptstadt: Minus 110 Grad gegen den Schmerz

Fibromyalgie-Patienten helfen vor allem sich selbst, auch in der Gruppe

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Wenn die Diagnose Fibromyalgie gestellt wird, ist der Patient eigentlich schon austherapiert. Medizinisch sei wenig zu machen, „man kann sich nur selbst helfen“, sagt Karin Brandt, Mitbegründerin der Potsdamer Selbsthilfegruppe Fibromyalgie.

Bei der heute 57-Jährigen wurde der chronische Muskelfaserschmerz vor neun Jahren entdeckt. „Relativ schnell“, wie sie sagt. Viele der Betroffenen hätten lange Leidenswege hinter sich, weil die Krankheit mit herkömmlichen diagnostischen Methoden wie Röntgen oder durch Blutbildbestimmung nicht erkannt werde. Das Krankheitsbild sei nicht eindeutig, werde diffus durch vielfältige Begleiterscheinungen wie Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, Reizdarm oder auch Depression. Nicht selten würden die Leidenden als psychisch krank oder sogar Simulanten eingestuft. „Darum ist es wichtig, dass die Krankheit bekannt gemacht wird“, sagt Karin Brandt, die neben der Gruppenleitung sich auch um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert. „Alles immer selbst machen“, das sei auch ganz typisch für Fibro-Patienten, merkt sie selbstkritisch an. Sie habe in Gesprächen mit anderen Betroffenen gelernt, auch mal Ruhephasen einzulegen. Sie sei voll berufstätig, als Angestellte in der Stadtverwaltung. Keine Selbstverständlichkeit: Viele Erkrankte müssten ihren Beruf aufgeben.

Die 57-jährige Sachbearbeiterin hält sich mit Wassergymnastik und Dehnübungen beweglich. Sie schwöre auch auf Blutegel. Als sie mit den regenwurmartigen Saugern zum Arzt kam, hätten vor allem die Helferinnen ein wenig gestutzt. „Mittlerweile haben sich alle an den Anblick gewöhnt.“ Ein Angang war für sie allerdings der Weg in die Kältekammer. Minus 110 Grad herrschen in dem beengten Therapieraum. Nur in Badeanzug, Schuhen und mit Gesichtsschutz trete man in die Eiseskälte. Am Anfang habe sie es knapp 60 Sekunden ausgehalten, inzwischen schafft Karin Brandt anderthalb Minuten. Das Gefühl danach lässt sie die Kühlkammer aushalten. „Der Schmerz ist weg, wie schockgefroren“, sagt sie. Mindestens einmal im Jahr begibt sie sich an den kältesten Platz Berlin, in der Klinik in Wannsee.

Seit Mitte der 90er Jahre ist die Fibromyalgie eine anerkannte Krankheit. Auch in der Arzt-Ausbildung gehöre sie jetzt zum Lehrstoff. Durch den Druck auf sogenannte Tender Points, bestimmte Punkte am Körper, könne die Krankheit inzwischen festgestellt werden. Etwa zwei Prozent der Bevölkerung – in großer Mehrheit Frauen – sei betroffen. 200 Ratsuchende hat die Leiterin seit Gründung der Selbsthilfegruppe im März 2002 beraten; 45 Betroffene zählen zu den Mitgliedern. Die Gruppe trifft sich jeden vierten Donnerstag im Monat, das nächste Mal am 22. Januar um 18 Uhr im Sekiz, Hermann-Elflein-Straße 11. N. Klusemann

Kontakt Karin Brandt, Tel.: (0331) 71 20 97 oder E-Mail kuebrandt@web.de

N. KlusemannD

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