Sport: Mit Achtzig hat man noch Träume
Hans Schuffenhauer blickt heute auf bewegende Jahrzehnte zurück und setzt sich nicht aufs Altenteil
Stand:
Seine sportlichen Träume sind Wirklichkeit geworden. Hans Schuffenhauer wurde Deutscher Meister, Europameister und Weltmeister. Doch der Potsdamer Leichtathlet, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, musste lange warten, bis er am Ziel war – Schuffenhauer war schon fast Rentner, ehe er zu seiner internationalen Karriere durchstarten konnte. Zu einer Karriere, die ihm bei den Leichtathletik-Senioren unter anderem sechs WM- und einen EM-Titel bescherte.
Wenn er heuer vom Wohnzimmer seiner schmuck eingerichteten Plattenbauwohnung auf die Neustädter Havelbucht blickt, spülen die Erinnerungen in ihm viele Bilder hoch: Die ersten Jahre in einem Kinderheim im sächsischen Chemnitz, dann das Aufwachsen bei Pflegeeltern in Loibsdorf, die Dachdeckerlehre und noch ein halbes Jahr als Soldat im Weltkrieg, ehe das Leben neu begann. Vor allem das sportliche, das ihn nach Potsdam führen sollte. „Nach dem Krieg“, erinnert sich der heutige Jubilar, „ging es an den Wochenenden zum Tanzen meist zu Fuß über die Dörfer. Anschließend bin ich immer nach Hause gerannt und habe dabei gemerkt, dass mir das Laufen viel Spaß machte.“ Schuffenhauers Leidenschaft wurde entdeckt und gefördert, als er 1949 zur damaligen Kasernierten Volkspolizei kam; erst nach Leipzig, einige Monate später nach Potsdam. „Bei der KVP – praktisch ein Vorläufer des späteren Armeesportklubs Vorwärts – hatten wir meist normalen Dienst zu leisten, ehe wir unseren Sport treiben konnten“, weiß er noch heute. „Ich bin oft morgens schon eine halbe Stunde eher aufgestanden als die anderen, um schon mal 5000 Meter zu laufen. Etwa 18 Minuten brauchte ich dafür. Die 800 Meter bin ich damals in 2:15 Minuten gelaufen, die 1500 Meter in 4:30 Minuten.“
In den fünfziger Jahren entdeckte Hans Schuffenhauer ein weiteres Talent an sich: Als 1955 bei der damaligen Betriebssportgemeinschaft Post Potsdam eine Kinder- und Jugendabteilung entstand, stieg der Sportler dort als Übungsleiter ein, und als die gesamte Abteilung zwei Jahre später zu Lok Potsdam wechselte, war er bereits ihr ehrenamtlicher Chef. 1956 führte er als Trainer Ingrid Michael zum DDR-Meistertitel der A-Jugend im Diskuswerfen. Seine bekanntesten Schützlinge aber waren die Brüder Manfred und Hartmut Losch, die unter seiner Führung ebenfalls A-Jugend-Meister der DDR wurden und später als Hammer- beziehungsweise Diskuswerfer bei Olympischen Spielen antraten. „Die Losch-Eltern“, weiß der damalige Trainer noch, „hatten damals eine Landwirtschaft in Neu Fahrland, und Manfred hat dort beim Training so manchen Hammerwurf ins Scheunendach gesetzt “ Dass Bruder Hartmut 1961, als Schuffenhauers A-Jugend DDR-Mannschaftsmeister wurde, sogar im Hochsprung antrat, verwunderte Schuffenhauer – der seine hoffnungsvollen Schützlinge dann 1962 an den neu gegründeten SC Potsdam verlor – nicht: „Wer ein guter Werfer ist, hat auch Sprungkraft.“
Schuffenhauer, der sich seit 1955 immer selbst trainierte, erlebte dies am eigenen Leib. Schon während seiner Zeit als Polizist hatte er sich nebenbei mit Diskus und Kugel beschäftigt, was er später, da arbeitete er bereits als Obermonteur im Energiekombinat Potsdam, perfektionierte. Und seinen ersten Weltrekord stellte er 1989 im Hochsprung auf. „Als ich damals in Fürstenwalde mit 63 Jahren 1,60 Meter hoch sprang, wusste ich das aber noch nicht. Erst später brachte unser Sektionsmitglied Ralf Grünefeld, der als Schlafwagenschaffner in den Westen durfte, Weltbestenlisten der Senioren mit, wodurch wir von meinen Rekord erfuhren.“ Bis dahin hatte sich Loks Leichtathletik-Abteilung nach dem starken Aderlass 1962 peu á peu wieder aufgerappelt und durch Altersklassen-Sportler wie Paul Krebs, Fred Döring, Siegfried Pradel, Fritz Dörr, Wolfgang Hamel und Schuffenhauer selbst insgesamt 141 DDR-Meistertitel, 51 Siege im DDR-Mannschaftspokal und 75 bei Kleinen Meisterschaften sowie acht DDR-Rekorde verbucht.
Hans Schuffenhauer, der sich durchaus Verdienste an vielen Erfolgen anrechnen lassen kann, hatte bis zur politischen Wende allein 21 DDR-Meistertitel erkämpft. „Diese Wende“, meint er nun, „bereitete unserer Sektion keine Probleme, denn wir waren ja nicht auf große finanzielle Unterstützung von außen angewiesen.“ Im Gegenteil: Viele Seniorensportler erlebten nun einen weiteren Frühling, so auch der heutige Jubilar. „Bis 1989 waren viele von uns um den Lohn ihres Trainings gebracht worden, weil sie nicht auch international starten durften – das änderte sich nun“, so Schuffenhauer. 1990 bei den Senioren-Europameisterschaften in Budapest begann er als 64-Jähriger mit Silber im Hochsprung seine internationale Karriere, ein Jahr später im finnischen Turku wurde er in der gleichen Disziplin erstmals Senioren-Weltmeister. Ob anschließend in Norwegen, Japan, Griechenland, den USA, Schweden, Südafrika, Italien, England oder Australien – immer kehrte die „Reisedelegation“ des ESV Lok mit Sportlern und ihren Ehepartnern medaillengeschmückt heim an die Havel.
„Wir haben praktisch auf allen Kontinenten 23 Welt- und 12 Europameistertitel gewonnen und dabei je sieben Welt- und Europarekorde aufgestellt“, bilanziert Schuffenhauer. Er selbst lieferte 2001 in Brisabane sein Meisterstück ab, als er in der Altersklasse ab 75 Jahre Gold im Hochsprung (1,33 m), Diskuswerfen (36,39 m), Werfer-Fünfkampf (4826 Punkte mit Kugel, Diskus, Hammer, Speer und Wurfgewicht), dem Mannschaftskampf in diesem Fünfkampf sowie über viermal 100 m gewann. „Da damals ein anderer Staffelläufer ausfiel, wurde ich gefragt, ob ich nicht mitmachen wolle – und es war mir eine Ehre, dort für Deutschland zu laufen“, erinnert sich Schuffenhauer, der ein Jahr später per Post aus Australien erfuhr, dass er überdies im Werferfünfkampf einen neuen Weltrekord seiner Altersklasse aufgestellt hatte Auch bei den Senioren- EM 2002 in seiner Heimatstadt konnte er jubeln: Mit seinem letzten Diskuswurf-Versuch und 33,39 m eroberte er sich doch noch die zwischenzeitlich schon verloren geglaubte Goldmedaille.
Gesundheitliche Probleme zwangen Hans Schuffenhauer in den Jahren danach kürzer zu treten. Doch er bezwang den Krebs ebenso wie drohende Lethargie, in die ältere Menschen schnell verfallen können. Heute Abend wird er in der Lok-Vereinsgaststätte mit Sportfreunden, Nachbarn und Verwandtschaft seinen Ehrentag feiern und viel zu erzählen haben. An seiner Seite Gattin Anita, mit der er seit 54 Jahren verheiratet ist und „die einen erheblichen Anteil an meinen Erfolgen hat“, wie er extra betont. Kürzlich bei den Hallen-Landesmeisterschaften holte sich Schuffenhauer Kugelstoß-Silber, ob er künftig noch international antritt, macht er vom körperlichen Befinden abhängig. „Ich hoffe, dass mein linkes Knie wieder besser wird, damit ich weiter Sport treiben kann“, sagt er. Mit achtzig hat man durchaus noch Träume.
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