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Rudolf Tschäpe: Mit dem Moped nach Prag

Freunde und Weggefährten von Rudolf Tschäpe gedenken am heutigen Samstag des zehnten Todestages des Bürgerrechtlers und Wissenschaftlers.

Stand:

Potsdam -Mit einer Videoprojektion an die Mauern der Erlöserkirche will die Bürgerrechtlerin Carola Stabe ab 20 Uhr an den einstigen Protagonisten der friedlichen Revolution 1989 erinnern. Tschäpe war 1989 Mitbegründer des Neuen Forums, einer politischen Plattform, die maßgeblich den Demokratisierungsprozess in der zuendegehenden DDR vorantrieb. Gleichsam war Tschäpe Begründer und erster Vorsitzender der Fördergemeinschaft Ehemaliges Stasi-Untersuchungsgefängnis Lindenstraße 54. Am 14. April 2002 starb Tschäpe an einer seltenen Blutkrebsart, einem Non- Hodgkin-Lymphom.

„Ich habe im Mai 2010 bei der Potsdamer Polizei Anzeige wegen Mord an Rudolf Tschäpe gestellt“, sagte Carola Stabe am Freitag den PNN. Grund ist die Annahme, dass Tschäpe durch die DDR-Staatssicherheit verstrahlt oder mit radioaktiven Substanzen vergiftet worden sein könnte. „Es gibt viele Hinweise darauf, dass DDR-Oppositionelle von der Stasi auf diese Weise geschädigt wurden“, erklärte die Bürgerrechtlerin. Sie nannte die Namen der bekannten DDR-Oppositionellen Jürgen Fuchs und Rudolf Bahro. Auch der DDR-Liedermacher Gerulf Pannach starb an Krebs, ebenso die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. Carola Stabe: „Die Nachricht, dass er dieselbe Krebsart hat wie Jürgen Fuchs, hat Rudolf Tschäpe am Tag der Beerdigung von Jürgen Fuchs erfahren.“

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ machte 1999 bundesweit publik, dass in der Stasi-Haftanstalt Gera Röntgengeräte auf Häftlinge gerichtet wurden – „In Kopfhöhe ausgerichtet“, so der Titel des Berichtes. Laut Carola Stabe habe auch in der Potsdamer Lindenstraße ein Röntgengerät gestanden. Einen Tag, nachdem Rudolf Tschäpe in Potsdam das Neue Forum anmeldete, sei er von der Stasi für die Dauer eines Tages in die Lindenstraße 54 „zugeführt“ worden, wie die Inhaftierung im DDR-Jargon hieß. Eine Woche nach der Anzeige habe sie vor zwei Potsdamer Polizisten Aussagen gemacht, erklärte Carola Stabe, danach habe sie von der Polizei nichts mehr gehört. Polizeisprecherin Katrin Laurisch teilte den PNN am Freitag mit, sie könne unter dem von Carola Stabe angegebenen Aktenzeichen keine Anzeige und kein Ermittlungsverfahren recherchieren und verwies auf die Potsdamer Staatsanwaltschaft, die am Freitag nicht erreichbar war.

Der Sohn von Rudolf Tschäpe, Konrad Tschäpe, kennt die Gerüchte um die mögliche Verstrahlung von DDR-Oppositionellen. „Es beunruhigt mich, auf welche Weise viele DDR-Bürgerrechtler zugrunde gehen“, sagte er den PNN. Dass sein Vater umgebracht wurde, würde er aber nur sagen, wenn es erwiesen ist: „Eine furchtbare Vorstellung.“ Konrad Tschäpe verwies auf Erkenntnisse der Stasi-Unterlagenbehörde, wonach die Korrespondenz des DDR-kritischen Autoren Rudolf Bahro („Die Alternative“) radioaktiv markiert wurde.

Konrad Tschäpe und Carola Stabe wollen sich am zehnten Todestag nicht nur des Todes, sondern auch des politischen und privaten Lebens Rudolf Tschäpes erinnern. So fuhr Tschäpe im August 1968 aus Begeisterung für den Prager Frühling mit dem Moped nach Prag und wurde zusammen mit einem Freund Zeuge des Einmarsches der sowjetischen Truppen und der Niederschlagung der Demokratiebewegung unter Alexander Dubcek. Konrad Tschäpe, 1974 geboren, erinnert sich, „welch großer, geheimnisvoller Name Dubcek in der Familie war“.

Auf der Rückfahrt in die DDR wurde Tschäpes in englischer Sprache geschriebenes Tagebuch von der Stasi konfisziert. Carola Stabe hält es für möglich, dass es von der Stasi falsch übersetzt wurde. Tatsächlich behauptete der DDR-Geheimdienst, Tschäpe sei in Prag auf Panzer geklettert und habe aufrührerische Volksreden gehalten. Die Beobachtung Tschäpes durch die Stasi, der „operative Vorgang“, trug Carola Stabe zufolge den Namen „Panzer“. Wahr sei wahrscheinlich, dass Tschäpe geäußert habe, er hätte gern zu jenen gehört, die auf Panzer kletterten. Getan habe er es nicht. Konrad Tschäpe hat 1989 noch selbst gesehen, wie Stasi-Leute, auffällig unauffällig gekleidet, seinem Vater folgten, wenn er mit dem Fahrrad ins Astrophysikalische Institut aufbrach, wo Tschäpe als Wissenschaftler arbeitete. Ein kräftiger Mann, der jeden Tag den Babelsberg hochradelte. „Er wirkte, als ob er nicht umzuhauen wäre.“ Konrad Tschäpe erinnert sich an die Neugier seines Vaters, das Wissenwollen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Grenzen hätten ihn nicht abgehalten, auch nicht die am Berliner Reichstag, der er sich zu DDR-Zeiten mit seinem Sohn so weit näherte, wie es ging. „Er wirkte naiv, war aber sehr wirkungsvoll“, sagt Konrad Tschäpe. „Er war ein guter Vater, er fehlt mir bis heute sehr.“

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