PNN-Serie: Studium anno 1958: Mit dem Moped über den Etagenflur
Josef Drabek studierte von 1958 bis 1962 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam. In dieser Episode schreibt er über abendliches Selbststudium, biologische Experimente und alberne Späße in der Fünf-Mann-WG.
Stand:
Josef Drabek, 1939 in Böhmen geboren, studierte von 1958 bis 1962 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, dem Vorläufer der heutigen Potsdamer Universität. Derzeit schreibt Drabek seine Erinnerungen „Von Böhmen nach Brandenburg. Wege zwischen Weltkrieg und Wende“, deren erster und zweiter Teil vorliegen. Der dritte Teil zu Brandenburg beginnt mit der Studienzeit. Auszüge daraus erscheinen in den PNN.
Nach dem Abendbrot begann das Selbststudium, das wir zweckmäßigerweise in unserer Fünf-Mann-WG durchführten, weil hier alles vorhanden war, was wir brauchten, Materialien, Meinungen und Methoden ausgetauscht werden konnten. Letzteres war besonders wichtig, da keiner hochschulgemäße Studienmethodik kannte. Dazu zählten das Anfertigen und Aufarbeiten der Vorlesungsmitschriften, die Vorbereitung auf Seminare, Klausuren und Prüfungen sowie das Erschließen der Studienliteratur, das Richard durch umfangreiches, mehrfarbiges Unterstreichen erledigte, was zur ironischen Frage führte, ob das wenige Nichtangestrichene das Wichtigste sei.
Wenn die Lust am Studieren gegen Null ging, schlug bald einer vor, damit aufzuhören und Skat oder Doppelkopf zu spielen. Das verzögerte sich zwischendurch, weil der Unterstreicher ab und zu Essbares aus dem Spind holte, in den Mund stopfte, die Hände an der Hose abwischte und noch kauend das Blatt wieder aufnahm. Am besten entspannte das Trudeln mit einer Schachtel Riesaer Zündhölzer, bei dem je nach Landung zwei, fünf oder zehn Punkte erreicht werden konnten. Wenn der an der Schmalseite des Tisches sitzende „Saran“ das Spielgerät mit eckiger Bewegung zu einer Zehn beförderte, hieß es in rollender Oberlausitzer Mundart: „Steht da, wie angerotzt.“
Manchmal gab es statt abendlicher Spiele aber auch alberne Späße. Einer resultierte aus Richards Fähigkeit, Darmwinde kontinuierlich speichern und konzentriert abgeben zu können. Davon ausgehend schlug Kommilitone Most vor, das methanhaltige Gas anzuzünden. Der makabere Versuch wurde allerdings abgebrochen, weil der Proband Angst bekam, die Flamme könnte nach innen schlagen. Während das misslungene Experiment einmalig blieb, kam das Präparieren eines der hölzernen Betten wiederholt vor. Da wurde nach Herausnehmen der mittleren Matratze eine mit Wasser gefüllte Schüssel unter das straff gespannte Laken platziert, was zu einem nassen Hinterteil führte. Oder die Halterung wurde so gelockert, dass das Bett beim Hineinlegen zusammenkrachte. Nachdem das auch mir passiert war, der als Internatskundiger solche Streiche eingeführt hatte, setzten die anderen noch einen drauf: Eines Tages stand mein Nachtlager auf dem Dachboden, von wo ich die Einzelteile heruntertragen und zusammensetzen musste.
Derlei Späße wurden nicht nur im Zimmer, sondern auch auf dem Etagenflur inszeniert. Beliebt war es, einen gefüllten Wassereimer straff an die Klinke der nach innen zu öffnenden Tür zu binden, anzuklopfen, und sich nach dem Öffnen an dem schwappenden Schwall zu ergötzen. Nachdem Richard und ich dies erfolgreich bei Nachbarn praktiziert hatten, nutzten diese unsere Unaufmerksamkeit aus und vergalten Gleiches mit Gleichem. Nun durften wir Wasser wischen, was dank des Linoleumbelags nicht schlimm war, wegen des hämischen Gelächters aber etwas schmerzte.
Einer jener bewässerten Nachbarn gehörte zu den wenigen Studenten, die ein motorisiertes Zweirad besaßen: ein im VEB Fahrzeug- und Gerätewerk Simson Suhl ab 1957 hergestelltes Moped SR 2. Diesen schweren fahrbaren Untersatz schleppten die Mitglieder unserer WG auf den in der zweiten Etage gelegenen Flur vor das Zimmer des stolzen Besitzers. Glücklicherweise verstand der von uns spaßig mittelhochdeutsch mit „edeler herre“ Angesprochene Spaß, trat den Zweitakter an und fuhr den Etagenflur auf und ab, wobei er im Foyer jedes Mal eine Schleife drehte.
Verständlicherweise gefiel solcher Krach nicht allen Bewohnern und schon gar nicht denen des 5. Studienjahres, die sich auf die Abschlussprüfungen vorbereiteten. Daher wollten einige von ihnen gegenüber Richard und mir als heimbekannten Hauptlärmern ein Exempel statuieren. Dem kamen wir zuvor, flüchteten ins Zimmer und schlossen ab. Daraufhin stießen die Verärgerten den Schlüssel nach innen, worauf ich den dazu benutzten Schraubenzieher mit einem Lineal nach unten bog. Später sprachen die Angreifer von Abzug, worauf lautes Trapsen zu hören war. Dem schenkten wir Glauben und öffneten die Tür. Darauf hatten die Belagerer nur gewartet und schleppten Richard unter die kalte Dusche. Nachdem sie den Triefenden abgeliefert hatten, fragte einer, wer denn den Schraubenzieher verbogen hätte. Als ich schelmisch sagte, dass mich das auch interessieren würde, wurde ich, Widerstand war zwecklos, zweites Duschopfer. Fortan verliefen unsere Späße wesentlich ruhiger.
Josef Drabek
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