MACHT UND OHNMACHT DER WORTE: Mit dem Skateboard ins Alte Rom
Totgesagte leben länger: Wie Schüler des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder die lateinische Sprache lebendig halten und dabei noch heute gültige Werte entdecken
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So schnell kann es gehen: Nur einen Moment mit dem Skateboard nicht aufgepasst, und schon rutscht man durch einen Zeitkanal in die Vergangenheit. Der 14-jährige Konrad findet sich im Alten Rom wieder. Seinen Altersgenossen Lucius hingegen katapultiert es im selben Augenblick aus der Antike in die Gegenwart. Wie es den beiden in der für sie fremden Zeitepoche ergeht und welche Ähnlichkeiten sie im Zusammenleben der Menschen beobachten, das erzählt der Film „Odyssee durch die Zukunft“, den Schüler einer achten Klasse des Evangelischen Gymnasiums auf Hermannswerder während eines ungewöhnlichen Lateinprojekts drehten.
Innerhalb des Brandenburger Antike-Denkwerks (BrAnD) beschäftigten sich die Potsdamer Gymnasiasten und viele andere Lateinschüler in Berlin und Brandenburg mit dem Wertekanon des Alten Roms und seiner Bedeutung für die modernen Gesellschaften. Am vergangenen Freitag stellten sie ihre Ergebnisse auf einem Schülerkongress an der Universität Potsdam vor. Das Besondere nämlich an dem von der Robert Bosch Stiftung geförderten Projekt ist, dass es wissenschaftliche Unterstützung erhält. In diesem Fall kam sie von der Klassischen Philologie der Potsdamer Alma Mater.
Für ihre Recherchen konnten die Schüler auf die Bibliothek der Universität zurückgreifen, die auf dem Gebiet der römisch-griechischen Literatur und Kulturgeschichte eine umfangreiche Sammlung an Büchern und Zeitschriften vorzuweisen hat. Dozenten und Studierende der Klassischen Philologie hielten Vorlesungen und begutachteten Schülerreferate über den antiken Umgang mit Werten und deren Verbreitung sowie über Legenden und Sagen, in denen Wertbegriffe vermittelt wurden.
Was die Achtklässler des Evangelischen Gymnasiums dabei verstanden haben, setzten sie nicht nur in ihrer filmischen „Odyssee“ um, sondern auch auf einer informativen Website und einer nicht weniger interessanten Zeitschrift (siehe nebenstehende Beiträge). All das präsentierten sie auf dem Schülerkongress und heimsten dafür viel Lob von Professorin Ursula Gärtner ein, die die Konferenz leitete. Die Philologin hob die Vielseitigkeit der Klasse hervor, die sich unter Anleitung ihrer Lehrerin Anna Vazaki in gleich drei verschiedenen Medien der Thematik genähert hatte.
Mit ihrer Website, der journalistisch pfiffigen und reich bebilderten Zeitschrift „Solea“ und dem Kurzfilm haben es die Potsdamer Schüler geschafft, den Funken der Begeisterung für das eher randständige Fach Latein überspringen zu lassen. Genau das hat das Antike-Denkwerk BrAnD mit seinem auf drei Jahre angelegten Programm beabsichtigt. Entflammen will es, das Interesse von Schülern für die lateinische Sprache wecken und ihnen die antike Kultur als Wurzel ihrer eigenen Geschichte näher bringen. Nachdem sie im vergangenen Jahr das Alltagsleben der Römer erkundeten und in diesem Jahr deren Wertvorstellungen hinterfragten, dürfen sich die Lateinschüler 2010 mit den noch heute gültigen Rhetoriktheorien der Antike beschäftigen und dabei die „Macht und Ohnmacht der Worte“ erspüren.
Lucius und Konrad, die beiden Zeitreisenden aus dem Schülerfilm, können davon bereits ein Lied singen. Abgesehen von den sprachlichen Irritationen erlebten sie im Alten Rom wie im Potsdam unserer Tage dann aber doch ganz ähnliche Sitten und Bräuche. Beide wurden gastfreundschaftlich aufgenommen. Während Konrad an den Tisch einer römischen Familie gebeten wurde, die ihr Mahl mit ihm teilte, gingen Potsdamer Teenager mit dem sichtlich verwirrten Lucius ins Stern-Center, um seine Toga gegen Jeans und T-Shirt auszutauschen. „Hospitia“ heißt dieser die Zeiten überdauernde Wert der Gastfreundschaft. Welch große Bedeutung ihm in der Antike beigemessen wurde, zeigt die Geschichte des Ehepaares „Philemon und Baucis“, die mit Fremden das wenige teilten, das sie besaßen. Zum Dank dafür verwandelten die Götter ihre ärmliche Hütte in einen Tempel, in dem die beiden bis zum Ende ihres Lebens wohnten.
Auch für Lucius und Konrad ging die Geschichte gut aus. Nachdem sie sich in der für sie fremden Welt etwas umgeschaut hatten, kehrten sie heim, was einfacher war als gedacht. Das Alte Rom nämlich lag im Film nur einen Katzensprung entfernt: in den Römischen Bädern von Sanssouci.
„Macht und Ohnmacht der Worte – Gesellschaft und Rhetorik“ ist das nächste Thema des Antike-Denkwerks, das Lateinschüler in Berlin und Brandenburg im kommenden Schuljahr mit wissenschaftlicher Unterstützung bearbeiten können. In diesem Projekt soll mit antiken Rhetoriklehren vertraut gemacht werden. Welche Wirkung kann man mit dem gezielten Einsatz rhetorischer Mittel erzeugen? Und lässt sich auf diese Weise auch heute noch „die schwächere Sache zur stärkeren“ machen? Wer teilnehmen möchte, kann sich unter http://klassphil.philfak.uni-potsdam.de/denkwerk/ informieren. PNN
Antje Horn-Conrad
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