Landeshauptstadt: Mit den Puppen kam der Wohlstand
Senta Siller hat mit ihrer Idee einem Dorf in Pakistan neues Leben eingehaucht
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Senta Siller hat mit ihrer Idee einem Dorf in Pakistan neues Leben eingehaucht Von Patrick Steller Mit ihr kamen die Puppen in das kleine pakistanische Dorf und mit den Puppen kam der Wohlstand. Der Wohlstand vom fließenden Wasser, Strom und Schulen für Mädchen und Jungen. „Ein einzelner Mensch kann doch viel bewegen“, sagt Dr. Senta Siller und lächelt schüchtern, denn sie will sich nicht wichtiger nehmen als ihr Projekt „Thatta Kedona“, das vor 14 Jahren begann und heute Ableger in Kolumbien und Kamerun sowie einen eigenen Dokumentarfilm hat. Obwohl Pakistan in der heutigen Zeit eher als Brutstätte für islamische Fundamentalisten gilt und in einer konfliktträchtigen Gegend zwischen Afghanistan, Iran, Indien und China liegt, fühlte sich die Wahl-Potsdamerin Senta Siller dort niemals unsicher oder gefährdet. „Auf dem Land haben die Leute andere Probleme als Politik und der Mullah des Dorfes war auch nur ein armer Schlucker, der kaum angesehen war“, erzählt sie. Um das Bild von Pakistan zu verbessern und den Potsdamern die Kultur des Landes näher zu bringen, hat sie mit ihrem Mann, Norbert Pintscher, 2001 das Pakistan-Haus in der Charlottenstraße eröffnet. „Ich habe Pakistan schon immer gemocht“, erzählt die 69-jährige. Sie liebt die Kultur, das Essen, die Hilfsbereitschaft der Menschen – sie erzählt mit leuchtenden blauen Augen. Die Sätze fließen zu einer großen, wunderbaren Geschichte zusammen: Ein ehemaliger Student der inzwischen pensionierten Kunstlehrerin, Amjad Ali, hatte ihr angeboten, ihn doch einmal in seinem Heimatdörfchen, Thatta Ghulamka Dhiroka, zu besuchen. Als sie dann 1990 die staubigen Straßen in der Punjab-Provinz aufsuchte, sah sie das ganze Elend der 1200 Bauersleute. „Die Hälfte des Dorfes stand leer. Es gab keine Geschäfte mehr. Es war ein richtig verarmtes, verwahrlostes Dorf damals“, erinnert sie sich. Die, die noch da waren, lebten von der Feldarbeit, waren fast ausnahmslos Analphabeten und hatten ihr Leben noch kein Geld in der Hand gehabt. „Und die Frauen kamen zu mir und sagten: Zeig uns etwas mit dem wir Geld verdienen können“, erzählt sie. Dann kam ihr die Idee: Die Frauen sollten Puppen basteln und ihnen die landestypischen Kleider nähen. Das ganze könnte man in Pakistan und im Rest der Welt verkaufen. Und so geschah es. Am Anfang, 1993, hätten die Frauen noch auf dem nackten Lehmboden gesessen, ein paar Monate später waren die ersten Puppen so gut, dass man sie verkaufen konnte. Bald hatten die Dorffrauen genügend Geld angespart um ein Frauenzentrum zu bauen. Senta Siller, eine gebürtige Wienerin, wohnte von diesem Zeitpunkt an fünf Jahre in dem kleinen Dorf, in einem kleinen Kämmerchen, das Platz für Bett, Bücherregal, Schreibtisch und Gasherd bot. Verständigen musste sie sich mit Händen und Füßen und ein paar Brocken Punjabi, denn einen richtigen Lehrer, der ihr die Sprache beibringen konnte, fand sie nicht im Dorf. Auch in pakistanischen Regierungskreisen wusste man schnell von dem Projekt, „aber Unterstützung gab es keine“, erinnert sie sich. Doch die deutsche und die japanische Botschaft gaben eine kleine Finanzspritze. Inzwischen, zwölf Jahre nach der ersten Handpuppe, floriert das Geschäft mit dem Spielzeug. Etwa 120 Frauen stellen die Puppen her und verdienen damit „das Dreifache eines Lehrergehalts“, so Senta Siller. Im Dorf gibt es fließendes Wasser, Strom, Gemüsegärten, ein Frauen- und ein Männerzentrum, in dem Blechspielzeuge gebaut werden und Schulen für die Kinder. Im Herbst wird Senta Siller wieder in das „Spielzeugdorf“ reisen, weil ein großes Museum aus Athen Puppen bestellt hat, die in griechischer Landestracht gekleidet sein sollen. Für ihre Arbeit in Pakistan bekam sie 1996 das Bundesverdienstkreuz von Roman Herzog verliehen. Der Film „Thatta Kedona“ über das Dorf wird am kommenden Freitag, dem 11. August im Rahmen des Dokumentarfilm-Festivals „Globians“ um 19 Uhr im Alten Rathaus gezeigt.
Patrick Steller
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