Landeshauptstadt: Mit Fassung unters Fallbeil
Delegation reist zur Feierstunde für die 1941 in Potsdam zum Tode verurteilte Bronislawa Czubakowska
Stand:
Delegation reist zur Feierstunde für die 1941 in Potsdam zum Tode verurteilte Bronislawa Czubakowska Von Guido Berg Das Hinrichtungsprotokoll ist ein maschinegeschriebener Vordruck mit Lücken für den Eintrag der letzten Fakten des zu Tötenden. „Der Vorhang zum Vollstreckungsraum wurde zurückgezogen. Sodann der Verurteilte unter Vorantritt des Scharfrichters zum Fallbeil geführt. Die Haltung des Verurteilten “ – der Rest der Zeile bleibt für die handschriftliche Ergänzung frei und wird fortgesetzt mit dem Satz: „Nach vorheriger Entblößung der Schultern wurde er – sie – ohne Widerstreben auf die Richtbank gelegt.“ Das „er“ strich der Justizbeamte durch, in die freie Stelle trug er mit schwungvoller Feder ein „war gefaßt“. Schüler vom Gymnasium Hermannswerder, aus Brandenburg/Havel, Berlin und dem polnischen Skierz, dem Geburtsort der Getöteten, haben in einem Projekt das „Leben und Leiden der Bronislawa Czubakowska“ erforscht. Eine dabei entstandene Ausstellung wird während eines großen Festaktes am 10. September in Skierz eröffnet. Potsdamer Stadtverordnete und die Kulturbeigeordnete Gabriele Fischer nehmen daran teil. Das Landgericht Potsdam hatte am 13. Mai 1942 „für Recht erkannt“, die der Brandstiftung in der Brandenburger Feinjutefabrik Bezichtigte zum Tode zu verurteilen. Das Urteil ist inzwischen im Zuge des Engagements des ehemaligen Landgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Wende aufgehoben worden (PNN berichteten). Wie es vollzogen wurde, überliefert die bürokratische Penibilität der NS-Henker. Viele Akten sichtete der Privat-Forscher Klaus Leutner, dessen Frau aus Skierz stammt. Sie bieten einen Einblick in die Maschinerie des braunen Todes: Am 30. Juni 1942 erhält Bronislawa Czubakowska die Mitteilung, dass ihr Gnadengesuch abgelehnt ist. Am 14. August wird sie aus dem Frauen-Gefängnis in der Berliner Barnimstraße abgeholt und um 18.15 Uhr in Berlin-Plötzensee eingeliefert. Um 20 Uhr erfährt die junge Frau, dass sie am Morgen um 5.27 Uhr mit dem Fallbeil hingerichtet wird. Es bleiben ihr knapp neuneinhalb Stunden – Zeit, in der die gläubige Katholikin auch darüber nachgedacht haben wird, warum sie ausgerechnet am 15. August zu Mariä Himmelfahrt sterben soll, dem wichtigsten Feiertag der Katholiken. Ist es für sie ein glückliches Omen? Oder pure Verhöhnung? Weiter aus dem Hinrichtungsprotokoll: „Von der Übergabe an den Scharfrichter bis zur vollendeten Vollstreckung 12 Sekunden.“ In ihrem letzten Brief an die Mutter bat die Verurteilte um eine Beerdigung in Skierz. Den Wunsch zu erfüllen, machten sich Leutner und die Schüler zur Aufgabe. Doch sie konnten das Grab nicht finden. Nicht definitiv. Leutner stieß im Bestattungsbuch des Friedhofs Berlin-Altglienicke auf eine Notiz „Anatomie Charité“ für ein Grab mit 80 Urnen. Doch ob die Asche von Bronislawa Czubakowska dabei ist? Laut Hinrichtungsprotokoll war ihre Leiche dem Anatomisch-Biologischen Institut der Universität Berlin übergeben worden. Allerdings starben 2891 Menschen in Plötzensee unterm Fallbeil, die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Polin gefunden haben, „geht gegen Null“, so Leutner. In Anwesenheit eines polnischen Priesters wurde vergangene Woche dennoch Erde aus dem Urnengrab entnommen. Bei der Zeremonie am 10. September soll sie dem Grab der Mutter von Bronislawa Czubakowska „beigegeben“ werden. In der Kirche von Skierz wird Leutner den Einwohnern erklären, dass der letzte Wunsch der ermordeten Tochter ihrer Stadt doch in Erfüllung geht: „Wir bringen sie in unseren Herzen mit.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: