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Homepage: Mit heiterem Ernst

Klimaforscher Ottmar Edenhofer beim ersten Hochschulgottesdienst des Wintersemesters

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Ein Gottesdienst verspricht Ruhe und Einkehr. Ganz anders als eine Hochschule zu Anfang des Wintersemesters, wo für viele Studierende eine neue und turbulente Phase ihres Lebens beginnt. So gibt es wohl kaum einen besseren Ort für einen Hochschulgottesdienst als die Potsdamer Friedenskirche. In der dunklen Jahreszeit schafft das milde Licht aus den Turmfenstern der Kirche eine besondere Atmosphäre am Park Sanssouci. Durch das Portal dringt Gesang: der Chor singt sich ein. Die eindrucksvolle bronzene Christusstatur vor dem Eingang hat die Arme ausgebreitet. Der Innenraum der Kirche duftet nach Weihrauch. Der Besucher kann Mantel und Schal ablegen, in der Kirche ist es wohlig warm.

Vor wenigen Tagen fand der erste Hochschulgottesdienst des Semesters zum Thema „Geist und Macht“ statt. Und die Organisatoren hatten zum Auftakt einen ungewöhnlichen Referenten gefunden: Ottmar Edenhofer vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ist nicht nur ein weltweit gefragter Wissenschaftler. Der Klimaökonom war sieben Jahre lang Mitglied des Jesuitenordens und hat auch ein Philosophiestudium vorzuweisen.

„Geist und Macht“ verstand Edenhofer in seiner Ansprache an die Gläubigen als das Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Dabei ließ er nicht unerwähnt, dass er jüngst mit Arnold Schwarzenegger, Gouverneur des US-Bundesstaates Kalifornien, über das globale Klimaproblem gesprochen hatte. Schwarzenegger sei ein sanftmütiger Mensch und daher ein guter Politiker, schätzt Edenhofer.

Ob bei der Vergabe des Friedensnobelpreises oder auf der politischen Bühne: an den fatalen Folgen des weltweiten Energiehungers kommt heute kaum jemand vorbei. Für Ottmar Edenhofer stellt der Klimawandel unsere persönliche Lebensführung auf den Prüfstand. Er sieht die Menschheit heute vor einer Aufgabe, die ihresgleichen sucht.

Das Zusammenwirken von Politik, Wissenschaft und individueller Lebensführung passt für Edenhofer gut in eine Kirche. So wurde seine Ansprache nicht nur zu einem Plädoyer für politische und wirtschaftliche Veränderung, sondern auch zu dem Bekenntnis eines Christen. „Für die Menschheit war die Entdeckung der Kohle ein Lotteriegewinn“, zitierte Edenhofer den Soziologen Werner Sombart. Erdöl und Kohle ermöglichten Wohlstand und technischen Fortschritt in den Industrieländern. Doch heute weiß man, dass auch dieser „Lotteriegewinn“ seinen Preis hatte: mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent sei der Klimawandel vom Menschen verursacht, sagte Edenhofer.

Die Menschheit sei in ein scheinbares Dilemma hineingeraten: sind Wohlstand und Klimaschutz vereinbar? Ja, sagt Edenhofer. Ihn inspiriert gerade der christliche Glaube dazu, einen Weg aus dem Dilemma zu suchen. Wie bei dem Gottesglauben habe der Mensch hier eine Aufgabe, die er nur mit großem Ernst angehen könne. Doch dieser Ernst müsse ein heiterer Ernst sein. Eine Haltung, die dort Handlungsfreiheit eröffnet, wo der Zyniker eine Zwickmühle sieht. Edenhofer betonte die Freiheit des Geistes, neue Wege zu gehen. Er möchte in seiner Arbeit als Wissenschaftler Alternativen aufzeigen, die auch vor scheinbaren Paradoxien nicht zurückschrecken. Diese Geisteshaltung empfindet Edenhofer als eine christliche.

Die Hochschulgottesdienste werden seit vergangenem Sommersemester von der katholischen und evangelischen Studierendengemeinde sowie dem Lehrstuhl für Religionswissenschaften organisiert. Der Religionswissenschaftler Prof. Johann Evangelist Haffner erlebt bei den Studierenden in Potsdam ein großes Interesse für spirituelle Fragen. Das Besondere an Potsdam sei jedoch, dass dieses Interesse nicht konfessionell gebunden sei. So müssen auch die Sprecher in den Gottesdiensten keine bekennenden Christen sein. Vielmehr sei es wichtig, dass sie sich zu weltanschaulichen Fragen äußern wollen, so Haffner. Von seinen Kollegen an der Hochschule bekomme er viele positive Rückmeldungen. „So zeigt sich eine andere Dimension der Universität Potsdam.“

Der gut besuchte Auftaktgottesdienst dieses Semesters lebte auch von studentischem Engagement. Der studentische Chor der „Cantoria Potsdam“ sang eine Messe aus dem 16. Jahrhundert. Beim Verlassen der Kirche hatte der Besucher noch den Klang des festlichen Gesangs im Ohr. Draußen dann wieder das Dilemma unseres Lebensstils. Am Himmel blinkte ein Flugzeug. Die Triebwerke störten die Stille. Christus hatte die Arme ausgebreitet. Aber er blickte zu Boden.

Nächster Hochschulgottesdienst zum Thema „Geist und Gehirn“ am 2. Dezember in der Friedenskirche (18 Uhr).

Mark Minnes

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