Landeshauptstadt: Mit Hund und Teich 101 Jahre alt
Yoga als wohltuende Lebensweise, die Körpergefühl, Klarheit, Gleichgewicht vermittelt
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An einer Küchenausstellung vorbei in einem Parterre gelegenen Raum im Hinterhof liegt ein Ort der Stille. Das klappernde Straßenschuhwerk bleibt draußen im Regal auf dem Flur. Yoga-Lehrerin Ilona Schaal und ihre Schüler bewegen sich in bequemer Kleidung und Socken auf der sandfarbenen Auslegeware. Der Raum atmet Friedfertigkeit. Zwei Frauen haben schon auf den mit hellem Stoff bezogenen Matten Platz genommen und erzählen im Flüsterton.
Ilona Schaal setzt sich auf ein Kissen. Neben ihr stehen ein Meditationsbänkchen, ein Strauß bunter Blumen und ein kleiner Gong. Zu Beginn des Anfängerkurses in der indischen Lehre fragt sie jeden persönlich, wie es ihm geht – auch, um zu erfahren, ob es Verspannungen, Rückenprobleme oder schmerzhafte Zonen gibt. Darauf nämlich wird sie bei den Übungen achten. „Jeder soll die Körperhaltungen so einnehmen, dass sie ihm gut tun“, erklärt sie. Auf der Matte liegend spüren die Kursteilnehmer jetzt die Berührungspunkte ihres Körpers mit dem Boden. Die Hände ruhen auf dem Unterbauch, fühlen wie sich die Bauchdecke im Rhythmus des Atems hebt und senkt. Mit dem nächsten Einatmen werden die Arme nach oben geführt und hinter dem Kopf abgelegt. Der Brustkorb öffnet sich. Die Inder nennen diese Asana – Körperhaltung – das Teichsymbol. Der hektische Alltag wird im imaginären Gewässer versenkt. Mit jeder Wiederholung wird der Körper geschmeidiger.
Vor 17 Jahren habe sie mit Yoga begonnen, erzählt Ilona Schaal. Es sei mehr, als bloße Entspannungsübung, es sei inzwischen zur Lebensweise geworden. „Das hat mein Leben verändert“, sagt sie. Ihr Meister heißt Krishnamacharya. In seiner Tradition stehen ihre eigenen, aber auch die vielen Kurse, die sie selbst im Yoga-Zentrum Berlin durchlaufen hat und zur ständigen Weiterbildung immer noch durchläuft. Dort unterrichten Schüler des 1989 verstorbenen Yoga-Meisters. Das sei eine Eins-zu-Eins-Wissensvermittlung von Lehrer zu Schüler, erklärt sie.
Die Kursteilnehmer liegen jetzt auf dem Bauch, den Kopf auf die Stirn gestützt. Wieder mit dem Luftholen wird der Oberkörper mit den oberen Rückenmuskeln angehoben, gleich einer Schlange, die ihren Kopf in die Höhe hievt. Kobra nennen die Yogi treffenderweise diese Asana. Überhaupt ist die Sprache dieser mehr als 3000 Jahre alten Lehre sehr bilderreich. Die morgentliche Übungsfolge als entspannender Wachmacher heißt beispielsweise Sonnengruß. Neben Teich und Kobra gibt es unzählige weitere Körperhaltungen mit plakativen Bezeichnungen wie Heuschrecke, Totenstellung oder nach unten schauender Hund. Durch den Wechsel von An- und Entspannung werde der Muskeltonus verändert, manchmal mit ähnlichen Ergebnissen wie nach Trainings im Fitnessstudio, erläutert Ilona Schaal den Übenden.
Über 80000 Energiebahnen durchliefen laut Yoga-Lehre den menschlichen Körper, sagt die Lehrerin. Zwei bildeten die Hauptbahnen, die sich an sechs Punkten im Körper, den so genannten Chakren, träfen. Durch viel Übung und mittels des Atems könne man den Fluss der Lebensenergie verstärken, fühle sich gesünder. Wenn ein Mensch in einer für ihn angemessenen Weise regelmäßig Yoga praktiziere, könne er sogar Beschwerden wie Asthma oder Migräne lindern.
Yoga war noch bis vor wenigen Jahren in Indien nur den Männern vorbehalten. Vielleicht auch, weil es neben einem guten Körpergefühl und Ausgeglichenheit auch zu Klarheit des Geistes führt. Eine Erkenntnis, die beim weiblichen Teil der Bevölkerung nicht erwünscht war. In Potsdams Yoga-Schule in der Lindenstraße, die Ilona Schaal vor 7 Jahren gründete, ist das anders. Die meisten ihrer Schüler sind Frauen, die sie in Gruppen, aber auch im Einzelunterricht zu Gelassenheit, Ruhe und Lebensveränderung führt. Und fast wie ein unumstößlicher Beweis dafür, dass Yoga eine dem Menschen wohltuende Lebensweise ist, wurde Meister Krishnamacharya 101 Jahre alt.
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