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Homepage: Mit Spitzhacke und Bohrhammer

Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts graben sich in Sibirien durch den Permafrostboden

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10 000 Meter über der Arktis: Es klappert, es wackelt und es dröhnt in einer Lautstärke, die kaum auszuhalten ist. Ein Flug nach Sibirien ist Abenteuer pur, sagt Karoline Wischnewksi. Über das Alter der russischen Flugzeuge sollte man lieber nicht nachdenken. „Wenn man drin ist, macht man am Besten die Augen zu und stellt sich vor, man sitzt auf einer grünen Wiese.“ Die junge Wissenschaftlerin am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Potsdam weiß, wovon sie spricht. Vor einem Jahr brach sie das erste Mal zu einer Expedition in die Arktis auf, in diesem Sommer fliegt sie erneut. Gemeinsam mit ihren drei Kollegen will sie erkunden, wie der Permafrostboden Sibiriens auf Klimaveränderungen reagiert. Also jene Erdschicht, die früher nicht taute und nun doch zu schmelzen beginnt und dabei gewaltige Mengen an Treibhausgasen freisetzen könnte.

Max Heikenfeld muss lange an dem kleinen Rädchen der Computermaus drehen bis die Landkarte auf dem Monitor das Zielgebiet der Expedition anzeigt. Das russische Lena-Delta. Etwa 600 Kilometer nördlich des Polarkreises erstreckt sich das dicht verzweigte Flusssystem am äußersten Rand Russlands auf einer Fläche so groß wie Niedersachsen. Ein Niemandsland. Im Winter sinken die Temperaturen auf bis zu minus 50 Grad. Schnee, Eis und Dunkelheit prägen die kahle Landschaft fast das gesamte Jahr. Aber nicht im Sommer. „Der Schnee ist gerade geschmolzen“, sagt Heikenfeld. Der 24-jährige Physikstudent der Universität Heidelberg prüft seit einigen Wochen fast täglich die Wettervorschau für das Naturschutzgebiet. Heikenfeld wird das erste Mal in die Arktis reisen. Er möchte ebenso wie Karoline Wischnewksi Daten für seine Masterarbeit sammeln. Dicke Wollunterwäsche und lange Socken können beide zu Hause lassen. Wenn die Forscher Anfang Juli im russischen Tiksi aus dem Flugzeug steigen, könnte das Thermometer bis zu 25 Grad anzeigen, rund um die Uhr, denn die Sonne scheint dann den ganzen Tag. Nur Mücken – unzählig viele Mücken – werden den Himmel verdunkeln.

Bereits seit 14 Jahren machen sich Forscher des Alfred-Wegener-Instituts von Potsdam aus auf den Weg in die russische Arktis. Die Potsdamer Wissenschaftler profitierten von guten Kontakten, die bereits zu DDR-Zeiten geknüpft wurden. Zahlreiche Messstationen sind in der Arktis installiert. Sensoren erfassen Klimaveränderungen und Temperaturschwankungen in Seen, in der Luft und im Permafrostboden. Der bis in Tiefen von eineinhalb Kilometer gefrorene Sand stellt ein gewaltiges, über Jahrtausende aufgebautes Kohlenstoffreservoir dar. Tauen die Böden weiter ab, werden umweltschädliche Spurengase wie Methan und Kohlendioxid frei. Das würde dem Treibhauseffekt einen kräftigen Schub geben.

Im Jahr 1998 installierte die Forscherin Julia Boike mit ihrem damaligen Team die erste Bodenmessstation des Instituts auf Samoilov. Die Insel, drei Kilometer lang und drei Kilometer breit, liegt mitten im Lena-Delta. Sie ist von Tiksi aus mit dem Helikopter zu erreichen. Aus der Luft betrachtet sieht die Insel aus wie eine gewaltige Netzmelone: Unzählige kleine Tümpel, sogenannte Polygone in deren Mitte sich Tau- oder Regenwasser sammelt, prägen die Landschaft. Kaum zu erkennen: In einem schlichten Holzhaus sind die Forscher auf dem Eiland untergebracht, gemeinsam mit russischen Kollegen und Rangern des Naturschutzgebietes. Nebenan eine Baustelle: Die Russen bauen gerade ein neues Forschungszentrum.

„An den gesammelten Daten sieht man bereits die Erwärmung“, sagt Heikenfeld. Etwa 0,2 Grad im Jahr steigt die Temperatur im Boden. Das sei gewaltig. Allerdings lasse sich aus dem kurzen Zeitraum der 14 Jahre noch kein eindeutiger Trend ablesen. Dafür wären Messreihen über 50 Jahre nötig. Damit das möglich wird, soll in diesem Jahr die alte Bodenmessstation der Forscher ausgetauscht werden. Die langen kalten Winter haben das Gerät angegriffen, einen Datenausfall will man verhindern. Mit Spitzhacke und Bohrhammer werden sich die Forscher etwa einen Meter in die steinharte und tief gefrorene Erde graben, um die neue Messstation zu installieren, sagt Karoline Wischnewksi. „Nimm eine gefrorene Hühnerbrust und versuche sie durchzuschneiden, das funktioniert nicht gut“, erklärt sie. Neue Sensoren sollen künftig auch die Schneehöhen messen, damit wollen die Wissenschaftler den Einfluss der Schneedecke auf den darunterliegenden Torf erforschen.

Die Planungen für die diesjährige Expedition laufen seit knapp einem Jahr. Angeführt wird das vierköpfige Team erneut von Julia Boike. Mitte April ging die Fracht bereits auf die Reise. Sensoren, Kabel, Datenlogger, Feuchtegabeln, Batterien, kleine Windkrafträder, Solarzellen, Silikon, Kleber, Schrauben und Nahrungsmittel für zwei Monate. Allein die Wissenschaftler aus Potsdam sammelten eine halbe Tonne Fracht. In den Sommermonaten werden sie nicht die einzigen auf Samoilov sein. Etwa 30 Forscher werden die Insel dann bereisen, um ihre Sensoren aufzustellen und Aufzeichnungen zu machen. Anfang September reisen alle ab, dann wird es wieder kalt und dunkel.

Im einem Web-Blog wollen Max Heikenfeld und Karoline Wischnewksi über ihre Erlebnisse und ihre Forschung in der sommerlichen Arktis berichten. Alle Wissenschaftler sind noch in dem Holzhaus auf der Insel untergebracht. Fotos vom Inneren zeigen korkgetäfelte Wände, bunte Plastiktischdecken und schmale Regale auf denen sich Kaffee, Tee und Gewürze stapeln. Geschlafen wird in Zelten vor der Tür. Einziger Luxus ist eine Sauna und ab und zu ein frisches Stück Rentier, geschossen von den russischen Rangern.

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