Landeshauptstadt: Mit Tanzmusik und Kanone
700 Jahre Marquardt: Zum Schlossball am Freitagabend gab es viel Programm, aber wenig Tanz. Nebenan im Schlosspark lagerten die Langen Kerls in Zelten
Stand:
Am Anfang war Kempinski: Feine Gesellschaften, mondäne Feiern – das Hotelunternehmen brachte vor 80 Jahren Glanz und Glamour nach Marquardt, dem verträumten Dörfchen im Norden Potsdams. Wer hier die Sommerfrische suchte – im Restaurant und Hotel des Schlosses Marquardt konnte er jene Brise Landluft atmen. Die lauen Lüfte, die der Schlänitzsee hinüberblies, und Kringelwölkchen aus so manch edler Pfeife werden zusammen eine hübsche Melange ergeben haben. Hier auf diesem märkischen Erdenfleckchen hatte der Großstädter aus der Reichshauptstadt sein Pläsier. Hier konnte er mit den Worten des berühmtesten aller Weimarer Geheimräte sagen: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“
Nun, 80 Jahre später, steht am Anfang wieder Kempinski. Denn wer an diesem Freitagabend Einlass begehrt in das einstige Marquardter Herrenhaus, um den Schlossball zu feiern, der muss vorbei am livrierten Kempinski-Pagen, ihm das Billett vorzeigen oder schnell noch ein solches Einlasspapier zum Preise von 59 Euro erwerben. Die roten Ärmelaufschläge der ansonsten grauen Pagenuniform und die rote, von einem schwarzen Kinnriemen gehaltene Kappe des Pagen tragen den silbergrauen Schriftzug „Kempinski“. Jene Dienstuniform zeigt an, dass hier und heute für ein paar Stunden die alten Zeiten wieder aufleben sollen. Der ortsansässige Kultur- und Heimatverein hat anlässlich der 700-Jahrfeier von Marquardt zu diesem Schlossball geladen. „Wie zu Kempinskis Zeiten“ heißt das Motto dieses Abends.
Doch die Zeiten haben sich nun einmal geändert. An diesem Freitagabend muss der Page keine Koffer mehr tragen, ja eigentlich ist er auch kein echter Hoteldiener, denn in die von Kempinski ausgeliehene Uniform ist die Marquardterin Sara Kleber nur für ein paar Stunden geschlüpft. Im richtigen Leben ist sie die Tochter von Ballorganisatorin Ramona Kleber. Mutter Ramona wiederum zieht es an diesem Abend vor, in Gestalt der Witwe des einstigen Gutsbesitzers Hans Rudolph Ferdinand von Bischoffwerder zu erscheinen. Ganz in Schwarz, das Trauerjahr scheint noch nicht vorüber zu sein. Dass Bischoffwerder und nach ihm auch seine Witwe schon lange das Zeitliche gesegnet hatten, bevor Kempinski am Marquardter Horizont erschien, ist jetzt nicht wichtig. So genau will man da nicht sein. Schließlich haben heute draußen im Schlosspark auch die Langen Kerls ihr Heerlager aufgeschlagen. Und die waren in der Geschichte noch viel früher dran, vor Kempinski und vor Bischoffwerder.
In Reih und Glied stehen die Zelte der großgewachsenen Kerle auf der Wiese, vermutlich unter Zuhilfenahme einer preußischen Richtschnur exakt angeordnet. Gegenüber hat die „koeniglich preußische Festungs-Artillerie zu Cuestrin“ ihr Heerlager aufgeschlagen: Grill, Wasserkessel und Kanone – alles was das Herz begehrt, scheint vorhanden. Die zwei Frauen und drei Männer sitzen in einem weißen Stoffpavillon. Der ist natürlich keine Baumarktware. Nein, ein textiles Schmuckstück nach historischem Vorbild, allerdings wiederum wohl auch nicht so hundertprozentig stilecht, wie einer der „Kanoniere“ anmerkt. Einen zufriedenen Eindruck machen die fünf hier in der Abendsonne. Aber ein kleines Problem gibt es dann doch: „Wir haben den Katte noch nicht gefunden, der sich enthaupten lässt“, sagt einer von ihnen und schmunzelt dabei. Im wahren Leben kommen die fünf Heeresmitglieder übrigens aus Letschin im Oderbruch. Und auch dies geben sie dem Gast noch schnell mit auf den Weg: Dort, im brandenburgischen Letschin, „steht der Alte Fritz auf dem Sockel“.
Während draußen die Mücken in der Abendsonne spielen (und stechen), nimmt drinnen im alten Herrenhaus der rauschende Ball Fahrt auf – nein, das wäre nun wirklich eine Lüge. Hier herrscht eher Dinneratmosphäre, man sitzt im großen Saal und speist. Ein paar mehr Ballgäste täten dem Geschehen jetzt gut. Nur knapp 50 sind der Einladung gefolgt. Der Saal hat sicherlich schon opulentere Veranstaltungen gesehen. Einige wenige Gäste haben keine Mühen gescheut und sich in historische Schale geworfen. Eine Frau trägt ein langes schwarzes Kleid, einen weißen Schal und einen schwarzen Stirnreif. Zwanziger-/Dreißiger-Jahre Stil sei das. „Die Mode wird nie neu erfunden“, fügt die Dame hinzu. Unsere jetzige Mode sei übrigens so ähnlich. Es gebe immer solche Wellen von einem Stil zum anderen. Alles sei schon einmal dagewesen. Der jeweilige Zeitgeschmack bediene sich quasi nur an den alten Mustern.
Während hinter vorgehaltener Hand ein wenig Kritik laut wird – man sei doch eigentlich zum Tanzen und nicht (nur) zum Essen gekommen – ertönt auf offener Bühne Klangfeines vom „Hohen C“, einem Männergesangsquintett aus Potsdam. „Wochenend und Sonnenschein“ bläst der Ballgemeinde um die Ohren. Die fünf schwarz gewandeten Herren singen unter anderem mit bekannten Weisen der Commedian Harmonists den 1920er-Charme herbei. Doch das juckende und zuckende Tanzbein so mancher Ballgasts muss jetzt noch eine Weile in Ruhestellung verharren. Am Buffet im Nachbarraum kommen Fragen auf: „Wir wollten mal ein opulentes Schlossballevent erleben“, sagt ein Herr. Naja, das ist es wohl jetzt nicht gerade. „Insgesamt der rote Faden“ fehle, meint seine weibliche Begleitung. Doch drinnen im Saal versteht „Das Hohe C“ zu begeistern. Ein älterer Herr lächelt. Seine Tischnachbarin wurde gerade von einem der singenden smarten Herren umgarnt. Wie ihm, der extra aus Darmstadt angereist ist und Marquardt noch von ganz früher kennt, der Ball gefällt: „Sehr gut!“
Das Tanzbein indes hatte zwar vorhin schon einmal eine kleine Chance, ausgeführt zu werden. Zur Musik aus der Konserve hätte es sich für ein paar Takte trauen dürfen. Immerhin, eine Dame mit Federschmuck am Kopf hatte sich gemeinsam mit der Witwe Bischoffwerder aufs Parkett gewagt. Jetzt aber wieder nur Programm ohne Tanz: Essen, „Hohes C“, Varieté. Ein Artist zieht sein Publikum mit Jonglage-Kunststücken in den Bann. Doch nach über drei Stunden Schlossball hält es manche jetzt vermutlich kaum noch auf ihrem Stuhl. „Für den einen oder anderen war zu viel Programm und zu wenig Tanz“, wird die Witwe Bischoffwerder alias Ramona Kleber später sagen. Manch einer habe wohl mehr Kempinski-Glamour erwartet. Jedoch auch früher seien derartige Veranstaltungen mit Kleinkunstdarbietungen und keinesfalls nur mit Tanz angefüllt gewesen.
Wie dem auch sei: Ungefähr anderthalb Stunden vor Mitternacht ertönt schließlich aus den Boxen die erlösende Musik: Es wird getanzt!
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: