
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Mit Technik dem Altersheim entrinnen
„Smart Senior“ könnte Senioren das Leben erleichtern. 34 Potsdamer haben die Technik getestet
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Marianne Barthel trotzt dem Klischee vom technikfeindlichen Rentner: Mit einem Tablet-Computer in der Hand navigiert sich die 80-jährige Potsdamerin durch ein Menü, das auf einem großen Flachbildfernseher angezeigt wird. Der Tablet-PC dient nur als Fernbedienung. Auf dem großen Fernsehbildschirm erscheinen jetzt Begriffe wie Einkaufsservice, Gardinenreinigung oder Mobiler Menüservice. Barthel entscheidet sich in diesem virtuellen Tischleindeckdich für Einkaufsservice. Rechts im Bild ist nun ein Mann zu sehen, bei dem die Rentnerin per Videokonferenz ihre Einkaufswünsche loswerden könnte.
Barthel präsentierte am gestrigen Donnerstag in der Gewoba-Musterwohnung Auf dem Kiewitt, was sie und 34 andere Gewoba-Mieter im vergangenen Sommer in einem Feldversuch getestet haben: ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden, unterstützt durch jede Menge ausgeklügelte Hightech. „Smart Senior“ heißt das vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt, an dem sich die Gewoba als einer von 28 Partnern in den vergangenen Monaten beteiligt hat. „Es geht um selbständiges Leben bis ins hohe Alter“, erklärte Gisela Gehrmann gestern den Sinn dieses Forschungsprojekts. Gehrmann sorgte bei „Smart Senior“ dafür, dass sich überhaupt genug Menschen als Tester zur Verfügung stellten. Auch begleitete sie die Probanden durch die Testphase. Wer mitmachen wollte, musste wenigstens 55 Jahre alt sein. Die älteste Teilnehmerin sei sogar 94 Jahre gewesen, sagte Gehrmann. Zu gebrechlich durften die Interessenten allerdings nicht sein.
„Stellen sie sich das vor: Da sind Menschen mit über 90. Und dann reden die mit mir über Tablet-PC's“, berichtete Gehrmann gestern über ihre Erfahrungen. Schon zwei Jahre vor der heißen Testphase habe man begonnen, Mieter für das Projekt zu begeistern. Mit Vorträgen und Exkursionen wurden die künftigen Testpersonen auf ihre Aufgabe eingestimmt. Ein Besuch in der Charité stand dabei ebenso auf dem Programm wie eine Fahrt zum Science Center am Potsdamer Platz in Berlin. Eine gemeinsame Schifffahrt der potenziellen Tester sorgte dafür, dass sie sich kennenlernen konnten. „Am Ende hatten wir die 35 Interessenten, die auch alle durchgehalten haben“, berichtete Gehrmann gestern stolz.
Zu Hause bei den Probanden wurde vor Beginn der eigentlichen Versuchsphase zunächst viel Technik installiert: Ein Fernseher nebst Mikrofon und Kamera, um so per Videokonferenz etwa mit Gewoba-Mitarbeitern oder den Johannitern Kontakt aufnehmen zu können. Für die Bedienung der Technik hatten die Tester sowohl einen Tablet-PC als auch eine klassische Fernbedienung zur Auswahl. Zudem gehörte eine Armbanduhr zur Ausstattung. Dabei handelte es sich um ein Hightech-Warngerät. Die Uhr erinnerte ihren Träger in regelmäßigen Abständen an das Trinken und machte sich bemerkbar, wenn man beim Gang zur Mülltonne etwa die Wohnungstür offen gelassen hatte. Die Tester konnten mit der Uhr auch einen sogenannten Assistenzruf zu den Johannitern herstellen.
Die Senioren unter den Testern seien der Technik gegenüber aufgeschlossener gewesen, als man gedacht habe, freute sich Projektleiter Frank Otte-Drewnick bei der Vorstellung des Projekts. Doch, so gab Gisela Gehrmann freimütig zu, sie habe aus dem Kreis der Tester auch mal lautes Murren gehört. „In der ersten Woche hätte ich am liebsten alles aus dem Fenster geschmissen“, habe ihr sogar jemand im Nachhinein gesagt.
Doch was bleibt für die Gewoba und ihre Mieter nach Abschluss des Forschungsprojekts? Die Videotelefonie wolle man in Zukunft den Mietern anbieten, sagte Gewoba-Geschäftsführerin Christiane Kleemann. Derzeit überlege man, wie die dauerhafte Finanzierung dafür laufen könnte. Nach Einschätzung von Projektleiter Otte-Drewnick werde es jedoch dieses umfassende Leistungsspektrum, wie im „Smart Senior“-Versuch angeboten, auf absehbare Zeit bei der Gewoba nicht geben. Zudem seien einzelne Leistungen auch nicht so sehr nachgefragt worden. Marianne Barthel jedenfalls zog gestern eine positive Bilanz ihrer 50 Tage mit der ungewohnten Technik. Sie würde später gern diesen Service nutzen. Denn sie wolle nun einmal nicht in ein Altersheim. Doch auch sie gibt zu: „In der ersten Zeit war es anstrengend.“
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