Von Olaf Glöckner: Modern und optimistisch
Das Abraham Geiger Kolleg ordiniert drei Rabbiner, darunter auch eine Frau
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Alina Treiger (31) hat ein ausgeprägtes Faible für Piano, Jazz und synagogale Musik. Letzteres passt trefflich für den künftigen Beruf, denn die Absolventin des Abraham Geiger Kollegs Potsdam (AGK) tritt bald eine Rabbiner-Stelle in der Jüdischen Gemeinde von Oldenburg an. Konstantin Pal (31) hat das Studium am Geiger-Kolleg ebenfalls hinter sich, er wird bald verschiedene Jüdische Gemeinden in Thüringen betreuen. Dritter im Bunde der „frisch gebackenen“ Potsdamer Rabbiner ist Boris Ronis (35), ein Mann der Bücher und des Schachspiels. Bevor Treiger, Pal und Ronis an ihren ersten Wirkungsstätten ankommen, werden sie am 4. November in der Berliner Synagoge Pestalozzistraße feierlich ordiniert. Auch Bundespräsident Christian Wulff wird dazu erwartet.
Die drei Absolventen verkörpern die junge Rabbiner-Generation in einem Land, in dem jüdische Gemeinden durch osteuropäischen Zuzug enorm gewachsen, zugleich aber mit chronischem Personalmangel konfrontiert sind. Wie die meisten hiesigen Juden auch stammen sie selbst aus ukrainischen oder russischen Familien. Alle sind in der deutschen, hebräischen und russischen Sprache gleichermaßen gut bewandert, was ihnen die Arbeit „vor Ort“ sehr erleichtern wird. Das Studium am Geiger-Kolleg haben sie als hochwertig, aber auch maximal fordernd erlebt. „Wir hatten alle erdenkliche Unterstützung“, so Boris Ronis. „Doch mit dem sehr umfassenden Curriculum wurde die Zeit für Familie und Freunde oft knapp.“
Das Abraham Geiger Kolleg, an dem sowohl liberale als auch konservative Rabbiner studieren, ist direkt verzahnt mit dem Institut für Jüdische Studien an der Universität Potsdam. Die Kommilitonen sind regulär an der Uni eingeschrieben, nehmen neben der eigentlichen Rabbinerausbildung aber ein „Zusatzpaket“ von zehn bis zwölf Semester-Wochenstunden in Jüdischen Studien oder angrenzenden Fächern in Kauf. Über ganze fünf Jahre hinweg erstrecken sich Kurse unter anderem in Hebräisch und Aramäisch, jüdischer (Religions-)Geschichte und Philosophie, Bibelexegese, Talmud, Halacha und Zivilrecht, Liturgie, aber auch in Management, interreligiösen Studien und Öffentlichkeitsarbeit. Damit steht das Geiger-Kolleg klar in der Tradition der einstigen Berliner „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“, welche Religion und Modernität bewusst kombinierte. 1942 hatten die Nazis die renommierte Ausbildungsstätte geschlossen.
Am Geiger-Kolleg erlaubt die (noch) relativ kleine Zahl an Studenten – 17 mit Berufsziel Rabbiner, sechs weitere mit Berufsziel Kantor – einen engen Kontakt zwischen Lehrenden und Studierenden. Manche Dozenten bleiben bewusst auch außerhalb der Vorlesungs- und Sprechzeiten erreichbar. Das intensive Mentoring hat zugleich den Sinn, die angehenden Rabbiner auf eine Reihe möglicher, ganz objektiver Schwierigkeiten im Berufsfeld vorzubereiten. So verweist Boris Ronis auf das Problem der Überalterung in vielen jüdischen Gemeinden – „ein Phänomen, das die Kirchen genauso kennen.“ Konstantin Pal beschreibt die Situation noch drastischer: „Wir benötigen mehr jugendlichen Nachwuchs. Wenn der nicht kommt, bestehen die schlimmsten Befürchtungen darin, dass einige kleinere Gemeinden in 10 oder 20 Jahren schließen müssen.“ Probleme der Überalterung, kulturelle Reibungen zwischen „Deutschen“, „Russen“ und hier lebenden Israelis sind indes nichts, was den Optimismus von Alina Treiger, Kontantin Pal oder Boris Ronis dämpfen könnte.
Zusätzliche Semester am Steinsaltz-Institut und am Hebrew Union College in Jerusalem wie auch studienbegleitende Praktika in mindestens vier deutschen Gemeinden haben ihnen eine Menge zusätzlichen Selbstvertrauens vermittelt. „In Jerusalem haben wir die halachischen Werkzeuge intensiv gelernt – jüdische Ethik, Chassidismus, Philosophie. „Das Studium dort gehörte zur schönsten Phase unserer Ausbildung“, bemerkt Alina Treiger. An der Spree wiederum gab die junge Frau schon Bar- und Bat-Mitzwa-Unterricht für jüdische Teenager, die kurz vor der Aufnahme in die Gemeinde stehen. Konstantin Pal und Boris Ronis sammelten ihrerseits Erfahrungen in der Militärseelsorge. Alle drei eint der Wille, die deutschen Juden nicht nur in der Synagoge zu treffen, sondern auch in alltagsnahen, glücklichen wie trüben Lebenssituationen. „Ich bewundere Maimonides wegen seiner Rationalität, Martin Buber wegen seiner Spiritualität und meine Lehrer, Rabbiner Ben-Chorin und Edward van Voolen, wegen ihrer Menschlichkeit“, sagt Konstantin Pal.
Olaf Glöckner
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