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Schnelle Diagnose. Künftig könnte schon vorm Arztbesuch Klarheit bestehen.

© ddp

Von Richard Rabensaat: Molekulare Spürnasen

Ein Forschungsprojekt am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik will das Labor auf Taschentuchformat verkleinern

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Die Pandemie ist in Deutschland angekommen. In der dritten Juniwoche hatte die Senatsgesundheitsverwaltung Berlin erstmals bestätigt, dass eine Frau in Treptow-Köpenick an der Schweinegrippe A/H1N1 erkrankt ist, auch Brandenburg meldete erste Fälle. Mittlerweile sind zwölf Schüler einer Schule in Berlin-Köpenick erkrankt, auch Brandenburg hat einen neuen Fall.

Eigentlich kommt die Grippewelle zu spät. Auf den Webseiten der Arbeitsgemeinschaft Influenza zeigen animierte Karten, wie sich die Grippewelle jedes Jahr in Deutschland ausbreitet, meisten vom späten Winter bis zum Frühjahr. Den Grippevirus rechtzeitig zu erkennen, könnte helfen, Vorsorge zu treffen und seine Verbreitung zu begrenzen. Möglicherweise reicht dazu in Zukunft ein simples Taschentuch. Das jedenfalls hofft der Wissenschaftler Prof. Frank F. Bier am Fraunhofer Institut für Biomedizinische Technik in Potsdam (IBMT).

Etwa 25 000 Einweisungen in Krankenhäuser gingen auf das Konto der Grippewelle im Jahr 2002/2003. Auch in diesem Jahr waren es mehrere Tausend. Hoch sind auch die Zahlen der Grippetoten. Grippe- und andere Erkrankungen lassen sich künftig möglicherweise mittels behandelter Textilien exakt nachweisen.

Schon beim Schnäuzen in das Taschentuch könnte man eine erste Diagnose erhalten. Das Taschentuch würde sich je nach Erreger verfärben und so unmittelbar und genau Auskunft darüber geben, wie bedrohlich die Situation für den Probanden ist, erklärt Frank Bier.

Das klingt zunächst einmal nicht sonderlich weltbewegend für ein Projekt, das voraussichtlich mit 14 Millionen Euro in den kommenden fünf Jahren vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Der Wissenschaftler sieht jedoch noch weitere Anwendungsmöglichkeiten für seine Forschung, denn letztlich geht es nicht um Taschentücher, auch wenn das Forschungsvorhaben medienwirksam als „Taschentuchlabor“ angekündigt wurde.

Ziel des Projektes, an dem unter anderem die Berliner Charité und das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig beteiligt sind, ist es „bioanalytische Werkzeuge auf Molekularebene“, kurz „Funktionsmoleküle“, zu entwickeln. Auf Molekularebene operierende Biosensoren könnten beispielsweise Diabetikern dabei helfen, den Grad ihres Blutzuckers zu bestimmen oder bei Bluttests unmittelbar Auskünfte über drohende schwere Erkrankungen zu erhalten.

Im Zentrum der Forschung stehen Infektions- und Entzündungskrankheiten. Das bedeutet aber nicht, dass sich der segensreiche Ertrag der Forschung auf diesen Bereich beschränkt. Bier fallen noch ganz andere Anwendungsgebiete für seine molekularen Spürnasen ein. „Denkbar wäre, entsprechende Tücher zur Salmonellenuntersuchung in Großküchen einzusetzen“, so Bier. Auch ließen sich Stoffe denken, die Sicherheitstests an Flughäfen erheblich beschleunigen könnten. Ausgangspunkt aller Überlegungen ist, die Zeit zwischen der Entnahme der Probe und der Analyse erheblich zu verkürzen und punktgenaue Ergebnisse zu liefern. Bisher müssen die Zellen umständlich vermehrt werden, ein Ergebnis gibt es frühestens am nächsten Tag. Künftig sollen die Moleküle genau auf die Erreger zugeschnitten sein und diesen dann treffsicher erkennen und melden. „Point of care Diagnostik“ nennt sich der neue medizinische Untersuchungszweig.

Zukunftsmusik ist das nicht. Schon jetzt zeigt Bier ein kleines grünes Kästchen, das in Serie produziert werden könnte. „Lab-on-chip“ ist der Fachausdruck für das Minilabor. Der Speichel- oder Blutstropfen durchläuft auf dem Chip verschiedene Untersuchungsstationen. Schließlich zeigt ein angeschlossenes Diagnosegerät, ob der Patient an Malaria, Tuberkulose oder was auch immer erkrankt ist. Das Gerät taugt nur zur einmaligen Messung, ist aber extrem billig. Finden die Wissenschaftler ein Privatunternehmen, das diese Chips in Serie produziert, könnte ein Minilabor rund drei Euro kosten. Der Preis für die Diagnose-Taschentücher steht noch nicht fest.

Richard Rabensaat

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