Landeshauptstadt: Moses und die Stones
Auf Kunst-Genuss-Tour durch die Galerien begaben sich am Samstag nur wenige Potsdamer
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Wie klingt ein Schiffsuntergang in c-moll? „Ok, ich muss drüber nachdenken“, sagt Moses Yoofee Vester, nachdem ihm soeben angetragen wurde, den Schiffshorror in Jazz-Rhythmen zu verwandeln. C-moll ist die Vorgabe, alles andere steht im Belieben von Moses, dem erst 13-jährigen Potsdamer Jazzpianisten. Er lässt lang ausgehaltene Akkorde erklingen. Bald nimmt die Musik Fahrt auf. Die Dramatik ist unüberhörbar, der Schiffsuntergang förmlich zu spüren. Doch der Pianist mag ein Happy End: „Ich hol’s wieder hoch.“ Die Tonart wechselt nach Dur. „Oben“, ruft Moses plötzlich und beendet seine Schiffsrettung mit einem kräftigen Akkord.
Während Moses Vester am Samstag im Rahmen der diesjährigen Kunst-Genuss-Tour auf dem Fußweg vor der „Belmundo Kauf- und Essbar“ in der Jägerstraße auf seinem E-Piano improvisierte, dass es für die – leider nur wenigen – Zuhörer eine wahre Freude war, konnten die Besucher auch drinnen Kunst erleben: Fotografien von Gerald Wesolowski, die noch bis Ende des Monats hier zu sehen sein werden. Es sind Aufnahmen von der Potsdamer Innenstadt, entstanden in den Jahren 1989/90: Verfallene Häuser in der Gutenbergstraße, der Gehweg ist nur noch eine Sandwüste. Im Holländischen Viertel, direkt vor dem Fliegenden Holländer, fehlt der Straßenbelag. Alte Blechmülltonnen stehen an der Hauswand. Ein anderes Bild zeigt Potsdam scheinbar im morgendlichen Nebel. Doch der geheimnisvolle Schleier über St. Peter und Paul speist sich allein aus den Kohleöfen in der Potsdamer Innenstadt. Die Alt-Potsdamer seien beim Betrachten dieser Fotos erstaunt, wie schnell sie vergessen haben, was vor 20 Jahren Realität war, sagt „Belmundo“-Mitinhaberin Carolin Stabe. Die Zugezogenen erfreuten sich hingegen schon eher an dem morbiden Charme der untergehenden Stadt.
Im Hof direkt hinter „Belmundo“ hatte die „Kinki Color Kunstschule“ vor allem Kinder eingeladen, unter dem Motto „Süße Sünde“ einen Kunstgenuss im doppelten Wortsinne zu basteln. Die zehnjährige Sonja stellte eine Pizza aus Buntpapier und Pappe her. „Ich hab eine ganz leckere Pizza gemacht“, präsentierte das blonde Mädchen stolz ihr Produkt. Süßes gab’s am Nebentisch: Täuschend echt wirkende Pralinen, hergestellt aus Modelliermasse, Kunstschnee und anderen nicht essbaren Zutaten.
Auch in der Kunstschule war der Besucherandrang am Samstag nur mäßig. „Es ist eher ruhig, letztes Jahr waren ein paar mehr Besucher da“, meinte Katrin Neubert, die mit den Kindern ihre „Sünden“ gestaltete. „Letztes Jahr war das hier richtig Party“, erinnerte sich auch die Illustratorin und Metallgrafikerin Patricia Vester, die im Durchgang zum Hinterhof mit ihren Metallarbeiten präsent war. „Ich denke, dass die Veranstaltung grundsätzlich zu wenig publik gemacht wurde“, sagte eine Besucherin der Galerie Sperl. Rainer Sperl, der im Rahmen der Kunst-Genuss-Tour wie viele andere Galeristen in der Stadt bis spät in den Abend geöffnet hatte, sprach hingegen vom „Kommen und Gehen“ der Besucher. Doch Sperl hatte es mit seiner Galerie am Nikolaisaal wohl auch ein bisschen einfacher als die anderen Galeristen: So mancher Besucher des Konzerts von Ute Lemper im Nikolaisaal schaute an diesem Abend noch bei Sperl vorbei.
Der im Holländischen Viertel ansässige Galerist Albert Baake beobachtete ebenfalls einen Besucherrückgang im Vergleich zum letzten Jahr – und das, obwohl Baake derzeit außerordentlich spannende Arbeiten des Berliner Fotokonzeptkünstlers Jo Berghammer und des teilweise in Los Angeles lebenden Malers Sebastian Krüger präsentiert. Unter anderem sind von Krüger gezeichnete Porträts der Rolling Stones zu sehen, die Berghammer auf raffinierte Weise miteinander verwoben hat. H. Catenhusen
H. Catenhusen
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