Homepage: Mozart lässt die Teleskope tanzen
Auf Teneriffa wurde die neue Sternwarte des Astrophysikalischen Institutes Potsdam eingeweiht
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Langsam öffnet sich das Dach von „Stella“. Zunächst fällt der Blick auf den Gipfel des Pico del Teide auf Teneriffa, mit gut 3700 Metern Spaniens höchster Berg. Dann leuchten zwei schlohweiße Geräte im einfallenden Sonnenlicht auf, die so gar nichts mehr mit den guten alten Teleskopen zu tun haben, mit denen Astronomen früher den Himmel beobachteten. „Stella“ ist Teleskop und intelligenter Computer in einem. Michael Weber und Thomas Granzer vom AIP betreuen sie. Stella braucht noch etwas Zuwendung, bis sie richtig läuft. Bis spät in die Nacht sitzen sie hier hoch über den Wolken bei Eiseskälte und arbeiten.
Die Öllagerung eines der beiden Teleskope schlackert und macht komische Geräusche. Auch das Programm hat noch seine Macken. Wenn alles läuft, wird Stella vollkommen selbständig Beobachtungen machen. Sie entscheidet dann, ob die Nacht klar genug ist, um Sterne zu beobachten. Sie sucht sich jene Sterne aus, die gerade am besten zu beobachten sind und die gewünschten Daten liefern können.
Meist ist hier am Teide gutes Wetter, darum steht Stella nicht beim AIP auf dem Babelsberg. Der wäre auch nicht hoch genug. Am Teide ist die Atmosphäre dünner und die Sicht besser. Hat Stella einen Stern gefunden, der ihr ins Programm passt, dann fängt sie sein Licht ein. Der Spiegel im Teleskop bündelt es, ein Glasfaserkabel leitet es einen Stock tiefer und dort zerlegt ein Spektrograf das Licht und analysiert es.
Nehmen wir mal HD 12 545 im Sternbild Triangulum. Der hat schöne große Sonnenflecken, der größte ist 50 mal größer als unsere Sonne. Auf diese Sonnenflecken etwa haben es die Potsdamer Astronomen abgesehen. Auch die chemische Zusammensetzung der Sterne wollen sie erkunden. Ihr Kern strahlt Licht ab, die Gase, aus denen der Stern besteht, absorbieren jedoch Lichtquanten. Das heißt: bestimmte Farben werden aus dem Lichtspektrum weggefiltert. Auch die Magnetfelder oder Sonnenflecken verändern das Licht. Genau dies misst und analysiert Stella selbständig, wertet es aus, lernt dabei noch und perfektioniert ihr Programm selber. Michael Weber, Thomas Granzer und ihre Potsdamer Kollegen bekommen dann schon vorsortierte und ausgewertete Daten auf ihre Bildschirme. Dort taucht so eine Art Fingerabdruck des jeweiligen Sterns auf. Geschwungene, farbige Linien mit Lücken. Der Fachmann liest daraus etwa ab, dass sich Eisen oder Mangan in der Atmosphäre finden.
Das Ganze dient im Wesentlichen einem Zweck: die Sonne auszuspionieren, ihre Entwicklung zu verstehen. Will man mehr über unseren Stern wissen, muss man andere Sterne beobachten. Zur Sonne lassen sich schwer statistische Daten erheben, weil sei einmalig ist. Viele Phänomene sind bei anderen Sternen auch besser zu beobachten, wie bei HD 12 545 der riesige Sonnenfleck. Welcher Mechanismus ruft dieses Magnetfeld hervor? Könnten die Wissenschaftler das irgendwann verstehen, brächte uns das etwa der Entwicklung von Kernfusionsreaktoren näher. Denn die Sonne und andere Sterne sind im Grunde riesige Kernfusionsreaktoren. Und noch ganz andere praktische Fragen sollen mit Stellas Hilfe geklärt werden: gibt es Muster und Rhythmen bei der Entwicklung der Magnetfelder? Wie wird sich die Sonne in Zukunft verhalten? Und war sie vor etwa 400 Jahren für die „kleine Eiszeit“ verantwortlich? Damals war sie inaktiver als gewöhnlich. Im sonst milden London fror die Themse zu und Schwedenkönig Gustav Adolf konnte sein Heer kurzerhand über die zugefrorene Ostsee führen. Als im Mittelalter die Sonne dagegen aktiver war, konnte man in England plötzlich hervorragenden Wein anbauen, wofür die Insel sonst zu kühl ist. Heute stören solare Magnetstürme die Telekommunikation. Kürzlich hat es einen kanadischen Satelliten erwischt. Bei starken Magnetstürmen ist auch die Besatzung der Weltraumstation ISS gefährdet. Stella wird helfen, dies zu verstehen und Voraussagen zu machen.
Die Astronomen Granzer und Weber sind seit Baubeginn vor sechs Jahren immer wieder nach Teneriffa geflogen, zwei Millionen Euro von Bund und Land hat seitdem das Projekt gekostet. Die beiden basteln auch vor der Eröffnung noch bis zur letzten Minute, fegen, räumen auf für die Gäste. Zusätzlich ist auch noch Taktgefühl gefragt. Die beiden Stella-Teleskope sollen sich auf ihren Gelenken zu Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ bewegen. Tatsächlich wird es letztlich ein Tänzchen, wie es die Welt noch nicht gesehen hat, Kollegen und Förderer des Projektes brechen am letzten Donnerstag in Jubel und Beifall aus, nachdem die beiden Sternengucker sich mit leisem Surren im Takt bewegt haben. Im strahlenden Schein des Objektes seiner Neugierde strahlt Institutsdirektor Klaus G. Strassmeier in die Runde, auch wenn der Druck jetzt groß ist. Das teure Projekt muss nun Resultate liefern. Es soll uns letztlich einer der großen Fragen der Menschheit näher bringen, verrät Professor Strassmeier noch. Wo kommt die Menschheit her? Haben alle Sterne, die aussehen wie die Sonne, auch Planeten oder sogar erdähnliche Planeten? Und haben diese Zivilisationen? „Von Antworten sind wir weit entfernt“, räumt Strassmeier ein. „Aber Stella ist ein Baustein, um die Physik zu verstehen, die zur Bildung von Erdplaneten und zur Bildung von Zivilisationen führen kann.“
Tim Jaeger, Teneriffa
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