Homepage: Multitasking für Fortgeschrittene
Fachhochschüler forschten für Berliner Ausstellung
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Wörter, Sätze, hintereinander weg, ohne Pause – er muss sie gleichzeitig hören und sprechen. Dem jungen Mann auf dem Bildschirm bleiben nur Sekundenbruchteile, um wiederzugeben, was ihm die Stimme im Kopfhörer sagt. Auf seiner Stirn bilden sich Schweißtropfen vor Anstrengung. Auch die Frau, die auf dem Bildschirm gegenüber das Gleiche versucht, hat offensichtlich Mühe. Die Video-Installation „Projektzeit“ der drei Potsdamer Fachhochschul-Absolventinnen Bernadette Klausberger, Jana Krause und Hannah Stracke ist bis zum 7. Oktober in Berlin zu sehen: „Multitasking – Synchronität als kulturelle Praxis“ heißt die Ausstellung bei der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst(NGBK) in Kreuzberg.
Der sperrige Titel verrät es: Hier geht es um mehr als um die 13 Kunstwerke, die in dem kargen, hallenartigen Raum in der Oranienstraße 25 gezeigt werden. Es geht um die Wissenschaft. Genauer, um die medienwissenschaftliche Betrachtung des Multitaskings, also der Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. „Jeder weiß etwas dazu“, sagt Medienwissenschafts-Professor Winfried Gerling von der Fachhochschule Potsdam: „Aber keiner weiß genau, worum es sich dreht.“ Das sollte anders werden.
Und als dann die Berliner Arbeitsgruppe „Fotografie“, deren Mitglied der Potsdamer Professor ist, eine Ausstellung zum Thema plante, lag es nah, „dass wir uns um den wissenschaftlichen Teil kümmern“, sagt Gerling. Denn der Kontext sei schließlich in der Medienwissenschaft verhaftet. Gerling und seine Studenten haben das gesamte vergangene Jahr in einem Seminar versucht, dem „kulturellen Phänomen Multitasking“ auf die Spur zu kommen. Denn bisher hätten sich nur Neurologen und Interface-Designer – für Auto-Armaturen etwa – mit diesem Thema beschäftigt, erklärt Gerling. Dabei gebe es spätestens seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert in der westlichen Welt eine „Beschleunigungs-Debatte, in der Geschwindigkeit oft als etwas Bedrohliches betrachtet“ werde.
Ähnliches zeige sich heute bei den Debatten um die neuen Medien. Handy und Internet ermöglichten die „Parallelisierung von Kommunikations- und Arbeitsprozessen“ und so warnt eine Krankenkasse auf ihrer Homepage: „Beim Multitasking werden mehrere Dinge gleichzeitig erledigt. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Computerwelt – und dort sollte er auch bleiben.“ Was beim Rechner wunderbar funktioniere, könne den Menschen auf Dauer krank machen. Andererseits scheint Multitasking als Lifestyle immer attraktiver zu werden: Mit dem Slogan „Es ist Zeit, dass der Multitasking-Fan in Ihnen zum Zuge kommt“, wirbt etwa ein Halbleiter-Unternehmen.
Die Studenten aus Potsdam haben für die Ausstellung nicht nur eine wissenschaftliche Video-Dokumentation zum Thema geschaffen, sondern auch den 135-seitigen Ausstellungskatalog erstellt. Von allen Seiten wird darin das Phänomen „Multitasking“ betrachtet: Von Kunsthistorikern und Kulturwissenschaftlern genauso wie von Psychiatern und Psychologen. So schreibt der Forscher Klaus Bengler, Projektleiter der Abteilung „Mensch-Maschine-Interaktion“ bei BMW über „Multitasking im Automobil“. Zu Wort kommen aber auch die Fachhochschüler. So führt Student Hannes Mandel mit dem Aufsatz „Gespannt beiläufig – beiläufig gespannt“ in das Thema ein. Normalerweise würden Computer Metaphern anziehen, schreibt Mandel. Rechner würden beispielsweise als „Elektrohirne“ bezeichnet. Dagegen sei bislang kaum eine Metapher vom Computer auf menschliches Tun bezogen worden, so Mandel. Umso bedeutender sei darum der Begriff Multitasking.
Wie überfordert der Mensch teilweise damit ist, macht das Kunstwerk „Projektzeit“ von den Potsdamer Absolventinnen deutlich. Dabei haben es die drei gar nicht für die Ausstellung geschaffen. „Projektzeit“ ist die Abschlussarbeit von Bernadette Klausberger, Jana Krause und Hannah Stracke aus dem Jahr 2006. Ihr Professor Gerling fand nur, dass sie sehr gut zum Thema passte. Nun steht ihre Arbeit gegenüber der Siebdruck-Bilder des Schweizer Künstlers Yves Netzhammer, dessen Werke auch auf der diesjährigen Documenta in Kassel zu sehen sind.
Die 40 Minuten filmisches Wortgewitter sind nur ein kleiner zusammengeschnittener Teil von insgesamt 900 Minuten Filmmaterial. Aber schon die genügen, um dem Ausstellungsbesucher zu zeigen, wo auch seine Multitasking-Grenzen sind. Im gleichzeitigen Doppelthören nämlich. Juliane Wedemeyer
Die Ausstellung bei der NGBK, Oranienstraße 25 in Berlin, ist bis zum 7.Oktober zu sehen. Am 5. Oktober, 19 Uhr, beginnt dort ein zweitägiges Multitasking-Symposium.
Juliane Wedemeyer
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