Von Henri Kramer: Mundgeräusche
Am Samstag findet der Battle Instinct statt – das zentrale Datum für Potsdams Hip Hop- und Rapper-Szene
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Fast alles ist organisiert, die Verträge unterschrieben, Gagen ausgehandelt – nun müssen in den Lindenpark nur noch Zuschauer kommen. Trotz überstandener Finanzkrise gilt das Haus an der Stahnsdorfer Straße längst nicht mehr als erste Adresse für Potsdamer Jugendkultur. Doch Markus Lange klingt sehr optimistisch, wenn er über die möglichen Besucherzahlen für den Battle Instinct am nächsten Samstag spricht. „1000 Leute werden das schon.“
Wohlmöglich behält der 26-Jährige Recht. Denn sein Konzept für den Abend ist in Potsdam einzigartig: Ein großer Wettbewerb rund um die Hip Hop-Kultur soll es werden, gespickt mit Show-Einlagen. In einer Kategorie sollen sich junge Verbalartisten gegenseitig mit möglichst fantasievollem Sprechgesang beleidigen, wer die besten Reime in dem symbolischen Kampf findet, gewinnt die Gunst des Publikums. Oder das typische Beatboxing, das Erzeugen von Melodie- und Rhythmus-Geräuschen mit dem Mund. Meister darin müssen ihre Zunge und die Wangen-, Kiefer- und Halsmuskeln so schnell bewegen, dass es mindestens schnackst. Der Applaus beim Battle Instinct gilt für alle Teilnehmer auch als Messlatte, wie cool sie sich als Rapper fühlen können.
Markus Lange erzählt darüber. An diesem Mittag liegen auf seinen Schultern ein paar große Kopfhörer. Mit vielen Sätzen skizziert er das Innenleben der Potsdamer HipHop-Szene, die sein Leben in den vergangenen elf Jahren geprägt hat. 1998 hat er den ersten Battle organisiert, in den Hanns-Eisler-Club in der Waldstadt kamen zehn Leute. Beim zweiten Mal waren es 50, zur dritten Veranstaltung kamen in den Spartacus sogar 300. Der Name Battle Instinct wurde zum Selbstläufer. Und Markus Lange unter Pseudonymen wie Vince, Seraph oder Signatur bekannt. Viele Kontakte konnte er in dieser Zeit knüpfen, 176 Rapper aus der Landeshauptstadt stehen in seinem Adressbuch. Die tatsächliche Zahl schätzt Markus Lange auf mehr als 200. „Die Szene hier ist groß geworden.“
Und in der Tat: Wer bei der Internetsuchmaschine Google die Begriffe „Rap“ und „Potsdam“ eingibt, erhält 153 000 Treffer, bei „Hip Hop“ und „Potsdam“ sind es gar 237 000. Vier Generationen der Szene hat Markus Lange ausgemacht, er selbst zählt sich zur zweiten. Und so ist die Spannbreite von Hip Hop in Potsdam weit gefasst. Das fängt bei den für diese Subkultur so wichtigen Texten an, deren Qualität sehr unterschiedlich ausfällt: Sie reichen von sprachgewandter Sozialkritik über Potsdams Gefälle zwischen Armen und Reichen bis hin zu stumpfen „Fotze-Ficken“-Klischees. Doch im Vergleich zur Berliner Szene, sagt Markus Lange, sei Potsdams wesentlich intellektueller, „nicht so aggressiv“.
Dazu dürfte sich auch die Terrific Voices Crew zählen, ein neuerer Name der Szene. Und Michael „Ill Mickill“ Mikalo gehört dazu, ist Beatboxer, kann nur mit dem Mund schon Melodien spielen. Reine Übungssache. „Schon als kleiner Bengel war ich davon begeistert, was Beatbox-Typen für Geräusche fabrizieren können“, erzählt der 23 Jahre alte Auszubildende. Zusammen mit zwei Freunden ist er für den Rhythmus verantwortlich, zwei andere rappen. Keine Macho-Texte, sondern Spaß. „Wir hauen nicht auf die Fresse, sondern packen Raps auf Beats“, dichtet Benjamin „Holm“ Bauer.
An ihm zeigt sich auch, wie vielfältig Potsdams Rapper-Szene nach außen wirkt. Der 25-Jährige mischt sich aktiv in der Stadtpolitik ein und kämpft im Arbeitskreis Alternative Jugendkultur Potsdam für mehr legale Graffitiflächen. Über die Stadtgrenzen hinaus bekannt sind beispielsweise Pdm Caravan, die Urgesteine der hiesigen Szene haben inzwischen ein eigenes Label und vertreiben ihre CDs im gesamten Bundesgebiet. Und auch Nachwuchs ist in Sicht: Rapper wie Frust oder Milou sind jünger als etwa Markus Lange, aber bekommen in einschlägigen Internetforen so positive Kritiken wie er früher.
Denn bis vor zwei Jahren hat Markus Lange noch selbst gerappt, war ständig in der Szene präsent. Heute nicht mehr. „Ich bin da wohl etwas herausgewachsen“, gibt Markus Lange freimütig zu. Gleichwohl binden ihn Veranstaltungen wie der Battle Instinct an die Szene, mit seinen Erfahrungen als Organisator will er Geld verdienen. Seine vergangenen HipHop-Events waren stets ausverkauft. Und jetzt für Potsdam hat er mit Joe Rilla von Aggro Berlin einen Top-Namen der nationalen Rapper-Szene verpflichten können. Sowieso drängt es Markus Lange auf Expansion: Statt ein- bis zweimal pro Jahr soll Battle Instinct künftig alle drei Monate in verschiedenen „Locations“ stattfinden, auch außerhalb von Potsdam. RTL und Pro7 haben schon wegen Reportagen angefragt, erzählt der junge Mann. Die Chancen für ihn könnten besser stehen.
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