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Landeshauptstadt: „Musikerziehung ist kein Sahnehäubchen“

Ein Gespräch mit Thomas Falk und Wolfgang Thiel über „Jugend musiziert“ und die Probleme an den Musikschulen

Stand:

Am Freitag findet der Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ in Potsdam statt. Brandenburg wird wegen der breiten Beteiligung und der Erfolge bei „Jugend musiziert“ als „musikalisches Wunderland“ bezeichnet. Aber dieses Wunderland ist in Gefahr.

Wolfgang Thiel: Das betrifft vor allem das Gemeinschaftsmusizieren. Wobei Städte wie Cottbus und Potsdam davon noch nicht betroffen sind. Wir als städtische Musikschule Potsdam haben mit fast 40 Mitarbeitern einen relativ starken Stamm an hauptamtlichen Lehrkräften. Hier ist das Fundament noch da, die zeitaufwendige Arbeit im Ensemble zu leisten. An Musikschulen, wo sich das Verhältnis von Hauptamtlichen und Freiberuflichen mittlerweile umgekehrt hat, ist es kaum oder gar nicht mehr möglich, Kammermusik über den reinen Unterricht hinaus zu betreuen. Und diese Betreuung muss sehr intensiv sein, um dann bei „Jugend musiziert“ überhaupt eine Chance zu haben. Da spielt die personelle Ebene eine sehr große Rolle.

Thomas Falk: Wir haben uns über Jahre hinweg damit anfreunden müssen, dass nicht zu viel wegbricht. Wir reden nicht mehr darüber, dass bestimmte Sachen ausgebaut werden. Wir sind in einer Situation, dass Veranstaltungen wie „Jugend musiziert“ nach außen immer als Erfolge dargestellt werden, was die Quantität und Qualität betrifft. Es ist uns aber nicht gelungen, auf die Basisarbeit und die desaströsen Entwicklungen im Land Brandenburg hinsichtlich des Berufsbildes des Musiklehrers hinzuweisen.

Das heißt konkret?

Falk: Das sind die Honorarsätze in Brandenburg. Wenn ich von Stundensätzen von zwölf Euro rede, die ein normaler Facharbeiter als Dachdecker bekommt, ohne Hochschulausbildung. Wir haben uns so daran gewöhnt, dass alle zusätzlichen Initiativen durch das Ehrenamt abgefangen werden. Das Brot des Musikers ist der Applaus, aber irgendwann reicht der Applaus allein nicht mehr.

Was meinen Sie mit Basisarbeit?

Falk: Das ist die knallharte Realität, einen Jugendlichen davon zu überzeugen, ein Musikinstrument zu erlernen und die Anstrengung aufzubringen, in einem Jahr vielleicht soweit zu sein, in einem Orchester mitzuspielen. Aber wenn man noch nicht einmal eine Kammermusik oder eine andere Art des Zusammenspiels anbieten kann, dann fragt sich der Schüler, wozu soll er so eine Quietschoboe spielen.

Gibt es solche Kammermusikklassen und Jugendsinfonieorchester in den größeren Städten?

Thiel: Ja, nur noch in Cottbus, Frankfurt/Oder und Potsdam.

Wie stellt sich die Situation im ländlichen Raum dar?

Falk: Da fehlt das Umfeld. Nehmen wir als Beispiel Senftenberg. Als Senftenberg noch ein Orchester hatte, war es selbstverständlich, das Musiker aus diesem Orchester Unterricht an der Musikschule gegeben haben. Das Orchester wurde abgewickelt, die Musiker wandern ab und übrig bleibt nur noch der Rumpf Musikschule.

Würde die Arbeit an den Musikschulen nicht ausreichen.

Falk: Wir können den Musiklehrern dort nichts mehr bieten. Damit meine ich nicht das Finanzielle. Wir können nicht sagen, haltet noch ein Jahr durch, dann gibt es eine Gehaltserhöhung oder nach dem zweiten Jahr können wir Euch einen Dreijahresvertrag geben. So etwas gibt es nicht mehr und irgendwann ist der Elan der Anfangsstunden verpufft. Die Leute können auch teilweise nicht mehr.

Thiel: Die Musikschulen im so genannten Speckgürtel haben noch den Vorteil, auf eine Vielzahl von Musikern als Honorarkräfte aus der Nähe zurückzugreifen. Das ist für Musikschulen in der Uckermark oder der Prignitz gar nicht möglich.

Trotzdem sind in den vergangenen Jahren die Teilnehmerzahlen bei „Jugend musiziert“ gestiegen. Also besuchen auch mehr Schüler die Musikschulen. Da dürfte es doch nicht so schwer sein mit dem Ensemblespiel.

Thiel: Wir liegen seit Jahren kontinuierlich bei 30 000 Musikschülern in ganz Brandenburg. Aber davon darf man sich nicht blenden lassen, denn sonst werden die Probleme, über die wir gerade gesprochen haben, überdeckt. Man muss genau hinschauen, in welchen Kategorien das Wachstum stattfindet. Das findet eindeutig in den Solokategorien statt. Absolute Spitze sind das Klavier und Gitarre. Bei der Kammermusik sieht das ganz anders aus.

Vielleicht wollen die Schüler gar kein Ensemblespiel.

Thiel: Im Gegenteil!

Falk: Es gibt sehr viele Instrumente, die besser für das Zusammen- als für das Solospiel geeignet sind. Wenn die Schüler dann den positiven Druck der Gemeinschaft spüren, kommt auch der Erfolg. Fast jede Sparkasse oder jedes Autohaus ruft bei einem festlichen Anlass in der Musikschule an und fragt nach einem Ensemble. Ich glaube nicht, dass Wolfgang Thiel nicht weiß, wo er seine Schüler auftreten lassen kann.

Thiel: Ich muss das sogar beschneiden. Es kommt bei uns von den Schülern selbst zu Gründungen von Kammermusikgruppen. Und in diesem Schuljahr sogar eines Projektorchesters.

Sie sprachen das Berufsbild des Musiklehrers an, um das es in Brandenburg nicht gut bestellt sein soll.

Falk: Es fängt schon bei der Denkweise der Träger, also der Landkreise oder Städte an. Da steht in den Briefen: Wir bezuschussen oder subventionieren unsere Musikschule. Das ist völliger Schwachsinn. Es würde niemand auf die Idee kommen und schreiben, ich bezuschusse oder subventioniere meine Grundschule. Dieses Selbstverständnis fehlt, dass Musikerziehung kein Sahnehäubchen ist, sondern die Musikschule eine Bildungsstätte ist, die gebraucht wird. Von politischer Seite muss auch das Signal kommen, dass man uns braucht und nicht nur duldet.

Und darunter leidet auch das Selbstbild des Musikschullehrers?

Falk: Ja! Es muss an den Musikschulen einfach auch wieder inhaltlich weitergehen. Wir müssen erreichen, dass die Lehrer an den Musikschulen merken, dass etwas passiert und die dann sagen: Wir wollen! Wir müssen! Das ist unsere Musikschule!

Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?

Thiel: Wir an der städtischen Musikschule Potsdam bieten ja studienvorbereitende Ausbildung und ich selbst habe zwei Vorbereitungsklassen in den Fächern Tonsatz und Gehörbildung. Da habe ich, in den 16 Jahren in denen ich das mache, schon Veränderungen bemerkt. Die Leistungsspitze gibt es nach wie vor. Aber die Aussichten eines Musikschullehrers sind nicht nur in Brandenburg schlecht. Als ich anfing, waren es acht bis neun Schüler, die ein Musikstudium begonnen haben, jetzt sind es nur noch zwei bis drei. Viele, von denen man früher sagte, die werden mit Sicherheit Orchestermusiker, haben sich für Berufe wie Rechtsanwalt oder Arzt entschieden und machen weiter Laienmusik auf hohem Niveau. Es ist zwar bedauerlich, dass die Zahl derer, die Musik studieren wollen, immer mehr zusammenschrumpfen. Aber es ist einfach nur realistisch.

Falk: Wir haben auch das Problem, ich nenne es mal ganz provokant, mit der Vergreisung des Lehrkörpers. Und uns bricht die Basis derer weg, die das Wissen vermitteln. Es ist ein Unterschied ob ein Pädagoge, der 35 Jahren lang das Brot des Musikschullehrers essen musste, zu seinem Schüler sagt: Mensch, tu Dir das bloß nicht an. Oder ein Absolvent kommt und sagt: Mein Studium war so eine gute Zeit. Ich weiß zwar nicht, was danach kommt. Aber mach das einfach. Es fehlt die Mischung zwischen Erfahrung und Sturm und Drang. Wenn das so weitergeht, wird es uns total abhanden kommen, stolz auf den Beruf des Musikpädagogen zu sein.

Aber es gibt doch auch junge Musiklehrer.

Thiel: Wenn junge Leute von der Musikhochschule kommen, sind die froh, ihr täglich Brot durch drei Honorarstellen an drei verschiedenen Musikschulen zu verdienen. Und sie wissen, dass sie auch in den nächsten 10 oder 20 Jahren keine Festanstellung bekommen werden. Diese Perspektivlosigkeit ist einfach desillusionierend.

Das der Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ jetzt in Potsdam stattfindet, ist doch zumindest ein positives Signal?

Falk: Es erfüllt uns mit Stolz, nicht nur das der Wettbewerb nach Potsdam kommt, sondern auch regional eine solche Akzeptanz erfährt. Früher fanden manche Wettbewerbe in Klassenräumen statt und die Schüler sind nach einer halben Stunde nach Hause gefahren.

Wie gestaltet sich die Organisation eines solchen zweitägigen Wettbewerbs mit 249 Teilnehmern und 5000 erwarteten Gästen?

Falk: Das ist ein Heimspiel, weil wir die Geschäftsstelle hier haben. Die Betreuung vor Ort übernehmen die hauptamtlichen Lehrer der Musikschule Potsdam.

Thiel: Für unsere Lehrer ist das zwar eine Doppelbelastung, weil wir ja schon im Januar den Regionalwettbewerb durchgeführt haben. Doch den Kollegen sind die Aufgaben klar, denn sie machen das ja schon seit Jahren. Am Mittwoch haben wir uns zusammengesetzt und die einzelnen Teams gebildet.

Wie geht es nach dem Wettbewerb mit der Jugendarbeit an den Musikschulen weiter?

Falk: Wir reden immer über die Kinder und Jugendlichen. Aber der Unterricht an der Musikschule ist kein Jugendförderprogramm. Hier muss ein intensives Umdenken in den Stadtparlamenten beginnen was den Erwachsenenunterricht betrifft. Es gibt immer mehr Erwachsene, die gewollt oder ungewollt mehr Freizeit haben. Arbeitslosigkeit oder Hartz IV, das muss nicht automatisch heißen, dass derjenige sozial abgekoppelt wird. Da kann der Musikunterricht ein sozialer Bezugspunkt sein.

Thiel: Wir haben keine Altersbegrenzung an unserer Musikschule und in den zurückliegenden Jahren ist der Anteil der Erwachsenen stetig gestiegen. Aber es gibt noch immer Hemmschwellen. Es gibt zwar den Ermäßigungsparagrafen wonach bei Offenlegung der sozialen Situation der Unterricht ein Jahr lang unentgeltlich genutzt werden kann. Mir ist aber noch kein Fall bekannt, wo ein Erwachsener zu uns kam und gesagt hat, er möchte gern Unterricht nehmen, könne den aber nicht bezahlen. Ich denke aber, es gibt da nicht wenige, die gern Unterricht nehmen wollen, sich aber nicht trauen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

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