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WIEDEMANN bildet: Muss Bildung mehrheitsfähig sein?

In Hamburg haben am letzten Wochenende Bürgerinnen und Bürger in einem Volksentscheid gegen eine geplante Änderung im Schulsystem entschieden. Das von den Hamburgerinnen und Hamburgern abgelehnte 6-Klassen-Modell scheint zumindest im Land Brandenburg zu funktionieren, wie ich verschiedenen Beiträgen zu diesem Thema in dieser Woche entnehmen konnte.

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In Hamburg haben am letzten Wochenende Bürgerinnen und Bürger in einem Volksentscheid gegen eine geplante Änderung im Schulsystem entschieden. Das von den Hamburgerinnen und Hamburgern abgelehnte 6-Klassen-Modell scheint zumindest im Land Brandenburg zu funktionieren, wie ich verschiedenen Beiträgen zu diesem Thema in dieser Woche entnehmen konnte. So weit, so gut: In vielen Kommentaren zu diesem überraschendem Ergebnis las ich von einem Sieg der „Demokratie von unten“, was mich zur durchaus polemischen Frage provoziert, warum wir eigentlich noch Volksvertreterinnen und Volksvertreter wählen, wenn immer mehr existenzielle Entscheidungen vom Volk – präziser von politisch aktiven Teilen des Volkes, siehe Hamburg! – selbst entschieden werden bzw. werden sollen? Ich frage mich, ob ich das wirklich will und antworte für mich und nur für mich: Nein! Mein Nein bezieht sich vorrangig auf Bildungs- bzw. auf andere überregional bedeutsame Entscheidungen und nicht auf örtliche Bebauungspläne. Ich frage mich aber auch: Hätten Wilhelm und Alexander von Humboldt vor 200 Jahren per Volksentscheid eine Genehmigung zur Gründung der Berliner Universität erhalten, oder hätten 1991 die Bürgerinnen und Bürger des neuen Landes Brandenburg der Gründung und Finanzierung von acht Universitäten und Fachhochschulen zugestimmt? Die Potsdamer HFF ist hier nicht berücksichtigt, weil sie im Dezember 1990 vom neu gegründeten Land Brandenburg als erste und einzige heute noch bestehende Hochschule des Landes übernommen wurde, die übrigen acht waren Neugründungen! Meine Antwort lautet: Es gäbe wahrscheinlich keine Humboldt-Universität und es keine neun Hochschulen im Land Brandenburg!

Die Frage, die sich mir in diesem Zusammenhang stellt, ist die nach den Verlusten an Glaubwürdigkeit, Kompetenz und Überzeugungskraft von Politik und Pädagogik zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die solche basisdemokratische Entscheidungen, wie in Hamburg ermöglichen bzw. bedingen? Warum wollen und können viele Bürgerinnen und Bürger scheinbar oder tatsächlich, wenn es um das Wichtigste geht, nämlich um die Bildung und Erziehung ihrer Kinder, immer weniger der Politik und der Pädagogik vertrauen? Meine zunächst simple Erklärung lautet: Bildung braucht Gewissheiten und Verantwortung und diese werden bzw. wird gegenwärtig weder von der Politik noch von der Pädagogik geliefert. Es werden zwar immer mehr Daten zu schulischen Leistungen, zum Sozialverhalten und zur Mediennutzung etc. gesammelt, über die daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen aber eher unter politischen als unter bildungswissenschaftlichen Prämissen diskutiert. Es ist dann nur konsequent, wenn Bürger immer häufiger Initiativen gegen Gesetzesvorschläge starten, die sie nicht einsehen. Ob damit aber dem Bildungsstandort Deutschland geholfen wird, wenn es immer weniger Bildungsstandards gibt, darf bezweifelt werden.

Um damit auf meine polemische Frage in der Überschrift, zurückzukommen: Bildung sollte nicht von wechselnden Mehrheiten und auch nicht von politischen Machtspielen abhängig sein, sondern eine bestmögliche Bildung für Alle ermöglichen, die es wünschen.

Unser Autor Dieter Wiedemann ist seit zehn Jahren Präsident der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg (HFF). Er hat zahlreiche Publikationen zu Film und Fernsehen sowie zur Aufarbeitung und Wertung des DEFA-Filmerbes und des DDR- Kinderfernsehens verfasst.

Dieter Wiedemann

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