Landeshauptstadt: Nach sechs Jahren
Die Diakonie betreibt seit Dezember 2006 ein Haus für Menschen, die lange im Gefängnis saßen
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Sechs Jahre sind vorbei. Sechs Jahre, in denen er jedes Blatt Papier und jeden Stift beantragen musste. Und Haken für Jacken. „Am Anfang hat mich Torsten K. einmal gefragt, ob ich ihm solche Haken besorge: Da sagte ich, dass er jetzt frei ist und sich solche Sachen selber kaufen kann“, sagt Sozialarbeiter Torsten Tinney. Sein Namensvetter Torsten K. ist einer seiner Klienten. Nach einer sechsjährigen Gefängnisstrafe entschied sich der 39-Jährige für das Projekt, bei dem Tinney einer der Ansprechpartner ist: Ein Haus für Haftentlassene in Fahrland. Seit Dezember wird es vom Diakonischen Werk Potsdam betrieben, die Gelder kommen vom Landesamt für Soziales und Versorgung (LASV). Für Torsten K. hat es sich offenbar gelohnt, wie der trainiert wirkende Mann sagt: „Diese Woche ziehe ich in eine neue Wohnung.“
Es ist dieser Satz, den die drei Sozialarbeiter des Hilfeprojekts irgendwann von all ihren Klienten hören möchten. Doch ist sich Tinney bewusst, dass dies manchmal wohl auch ein Wunsch bleibt: „Es gibt solche und solche Menschen – manche wollen nach dem Gefängnis wirklich ein neues Leben beginnen. Andere sagen dies zwar, verhalten sich dann aber doch anders.“ Viele, die aus dem Knast ohne Hilfe kämen, würden ihr erstes Übergangsgeld verfeiern und plötzlich ohne alles da stehen. Er kennt solche Beispiele: Einer etwa, so erzählt Tinney, meldete sich zwar im Diakonie-Heim an, kam aber nie, betrank sich lieber mit einem alten Freund – und hatte bald wieder Probleme mit der Polizei.
Um solche Fälle zu vermeiden und jenem die Chance zu geben, die nach der Haft ihr Leben wirklich in den Griff bekommen wollen, führen Tinney und seine Kollegen Ulrike Simon und Frank Lehmann mit den Bewerbern vorher Gespräche. Haben sie den Eindruck, dass ihr Gegenüber willens ist, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren, bekommt er am Tag seiner Entlassung die Adresse und einen Schlüssel des Heims in Fahrland. „Viele Ex-Häftlinge haben nach Jahren im Gefängnis keine Freunde und keine Familie mehr und würden so hilflos auf der Straße stehen, was die Chancen auf ein normales Leben natürlich verringert“, erklärt Tinney.
Torsten K. nickt, dreht sich eine Zigarette, trinkt einen Schluck Kaffee. Nach der Zeit im Knast – wegen welchen Vergehen er saß, möchte er nicht sagen – habe er den Entschluss gefasst, wirklich neu zu beginnen. Doch dieser Wille allein reicht offenbar noch nicht. „Gelerntes Versorgungsdenken“, nennt Tinney den Zustand, den Menschen haben, die lange im Gefängnis waren. Alles müsse erklärt werden: Dass das Arbeitsamt jetzt Arbeitsagentur heißt, was genau Hartz IV bedeutet, welche Krankenkasse nun zuständig ist, wo einer wie Torsten K. ein Konto ohne Probleme eröffnen kann. Und wie die früheren Sträflinge an eine Wohnung kommen, weil das von der Diakonie gemietete Haus nur Unterschlupf für ein paar Monate sein soll.
Torsten K. ließ sich auf das Angebot ein. In Fahrland fand er ein einfach eingerichtetes Häuschen vor, in dem bis zu sieben frühere Häftlinge in einer Wohngemeinschaft leben. Jeder hat ein eigenes Zimmer, für das er Miete zahlen muss. „Wir verschenken den Wohnraum nicht“, betont Tinney. Für das Geld können die Bewohner neben den vier Wänden unter anderem eine gemeinsame Küche und einen Aufenthaltsraum mit Fernseher nutzen. Das Haus ist eine frühere Pension. Doch luxuriös erscheint das Leben trotz Annehmlichkeiten wie einem Geschirrspüler nicht. Das Wohnheim sei eben nicht auf Bequemlichkeit und viele Freizeitmöglichkeiten hin ausgerichtet, meint Torsten K.: „Und bis zum nächsten Lebensmittelmarkt sind es rund 20 Minuten zu Fuß.“ Gleichwohl habe er die Zeit dennoch nie bereut. Im Garten hinter dem Haus sei er oft gewesen, habe Pflanzen gepflegt und das Grundstück in Ordnung gehalten. Das Verhältnis zu den Nachbarn – die Pension liegt in der wichtigsten Straße von Fahrland – sei gut gewesen, freundlich: „Ich habe keine Ablehnung gespürt.“ Doch schon wegen „der Privatsphäre“, die ihm nach Jahren der Zeit mit Zellennachbarn offenbar sehr wichtig ist, freut sich Torsten K. auf sein eigenes Heim. „Mit so vielen Leuten unter einem Dach war es nicht immer einfach“, sagt der in einfache Jeans-Klamotten gekleidete Mann. Er zumindest habe immer auf Distanz geachtet. Weil nach der Übergangszeit nun das Wichtigste geregelt sei, glaubt er, in Zukunft die Fallstricke des Lebens überspringen zu können: „Ich hoffe, ich bin auf dem besten Weg.“
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