
© Andreas Klaer /privat
Von Jana Haase: Nachholbedarf
Frank Sputh glaubte an Glück, als er 1989 für die DEFA nach Südamerika fahren durfte: Aber der Kamerastudent verpasste die Wende
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Als ihm in Lima die Taxifahrer auf die Schulter klopften, wurde er wirklich unruhig. „Ich wollte so schnell wie möglich zurück“, erinnert sich Frank Sputh. Bis auf die Titelseiten der peruanischen Tageszeitungen hatte es das kleine Land am anderen Ende der Welt geschafft, aus dem sich der 26-Jährige vier Monate vorher verabschiedet hatte. Es hätte das Abenteuer seines Lebens werden können – und plötzlich war er einfach nur noch zur falschen Zeit am falschen Ort. „Ich habe die Wende verpasst“, sagt der Kameramann heute.
Dabei schien die Tour zunächst ein Glücksgriff: Im Auftrag der DEFA sollte Sputh, damals Kamerastudent an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg, die Jungfernfahrt der „Georg Kask“ begleiten und filmen – zu Werbezwecken für die „Volkswerft Stralsund“. Denn dort war der Schiffsriese entstanden: „Im Prinzip eine schwimmende Fischfabrik mit Hotel“, erklärt Sputh. Auf dem 120 Meter langen und 19 Meter breiten Trawler konnten pro Tag bis zu 60 Tonnen Fisch zu Fischmehl und 4,4 Tonnen Fischleber zu Leberöl verarbeitet werden, 60 Tonnen Fisch eingefroren und 26 000 Fischkonserven hergestellt werden. Für die etwa 100 Mann starke Besatzung gab es neben den klimatisierten Kabinen auch Sporträume, einen Klub, eine Sauna.
Die DDR-Grenzen sind noch zu, als Sputh sich im Juli 1989 gemeinsam mit Regisseur Reiner Burmeister einschifft. Trotzdem werden die zwei Filmer, die einzigen Deutschen in der estnisch-sowjetischen Mannschaft, kurz darauf über die Hamburger Reeperbahn spazieren. Sowohl der russische Kapitän als auch die westdeutschen Grenzbehörden haben kein Problem damit. Dass er nicht zum letzten Mal in Hamburg gewesen sein wird, dämmert Sputh schon da: „Seit Gorbatschow hatte ich so ein Gottvertrauen, dass das alles so lange nicht mehr weitergehen kann“, sagt er.
Dass die Maueröffnung jedoch nur wenige Wochen bevorsteht, damit rechnet der Kamerastudent nicht, als er sich auf der nächsten Station, der Kanareninsel Teneriffa, eine tragbare Stereoanlage mit Radio kauft. „Darüber haben wir dann Deutsche Welle gehört, die ganze Zeit“, erklärt Sputh. Das Gerät steht bis heute bei ihm im Wohnzimmerregal. Während die „Georg Kask“ immer weiterfährt, in drei Wochen erst über den Atlantik und dann, von Delfinen begleitet, durch die Karibik, steuert auf der anderen Seite der Erde die DDR-Führung und mit ihr ein ganzes System auf einen Schiffbruch historischen Ausmaßes zu. Auf dem Schiff ist davon zunächst nichts zu merken. Eisenbahnzüge hieven die „Kask“ an Stahlseilen durch den Panamakanal: „Das ging mitten durch den Regenwald“, erinnert sich Sputh: „Da gab es handtellergroße Falter, die Affen schrien.“
Erste Nachrichten über die ab September einsetzende Massenflucht und Demonstrationen in seiner Heimat erreichen Sputh dann im Stillen Ozean. Die „Kask“ wird für ihn plötzlich zum „besten Gefängnis der Welt“: „Um uns herum nur Sonne, Wind und Wasser.“
Vor Chile und Peru bleibt jedoch nur noch wenig Freizeit: Hier drehen Sputh und Burmeister ihren Film. Auf 35 Millimeter halten sie fest, wie die Mannschaft den Fisch tonnenweise aus bis zu 2000 Metern Tiefe holt. Der Großteil des Filmmaterials wird später in Babelsberg irgendwann spurlos verschwinden, im Müll, wie Sputh heute vermutet. Das DDR-Prestigeprojekt interessiert nach 1990 niemanden mehr. Auch in der Stralsunder Werft gehören Giganten wie die „Kask“ der Vergangenheit an.
Das Fabrikschiff ist auf hoher See vor Peru, als Frank Sputh die Nachricht von der Maueröffnung hört. Der Potsdamer reagiert mit einem spontanen „Freudentanz“: „Ich bin ein paar Minuten in der engen Kabine im Kreis gelaufen“, beschreibt er die Szene und schüttelt den Kopf: „Die Mauer war offen und ich wie gefangen.“ An Anrufe nach Potsdam kann Sputh sich nicht erinnern.
In Lima hält den 26-Jährigen dann nicht mehr viel: Ursprüngliche Pläne, über die USA und Paris zurück nach Berlin zu fliegen, geben Burmeister und Sputh auf und fliegen auf schnellstem Weg über Moskau nach Schönefeld. Dort warten schon Doppeldeckerbusse aus West-Berlin vor dem Flughafen.
Seinen „Nachholbedarf“ stillt Sputh in den kommenden Monaten auf eigene Faust mit seiner privaten Super-8-Kamera und dem Fotoapparat. Wann immer es sein knappes Studenten-Budget erlaubt, kauft er eine neue Kassette und hält wieder zweieinhalb Minuten Umbruch fest. Die Schiff-Auftragsarbeit wird zur Nebensache.
Sputh filmt stattdessen in Potsdam die lasch gewordenen Grenzkontrollen, fliegende Händler den Straßen, neugierige Besucher im Stasi-Gefängnis in der Lindenstraße, Abrissarbeiten der Mauer am Griebnitzseeufer, Wahlplakate für die erste und letzte freie Volkskammerwahl im März 1990, ein PDS-Fest mit Gregor Gysi und Hans Modrow am 1. Mai auf dem Brauhausberg, Demonstrationen vor der Währungsreform und den Auftritt von Altbundeskanzler Willy Brandt auf dem Babelsberger Weberplatz am Vorabend der Wiedervereinigung.
Danach lagern die Aufnahmen lange im Privatarchiv. Sputh widmet sich neuen Projekten, macht sich selbstständig, arbeitet etwa mit dem Potsdamer Regisseur Rainer Simon an Filmen über Indianer in Ecuador und ist aktuell mit der Dokumödie „Schroeder liegt in Brasilien“ in den Kinos.
Erst jetzt hat sich der 46-Jährige die alten Super-8-Filme wieder vorgenommen. Zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung plant er ein Projekt mit dem Arbeitstitel „Es war einmal in Potsdam“, hat Fernsehsender angeschrieben und einen zehnminütigen Minifilm zur Vorschau erstellt. Ob das „Material aus einer vergangenen Zeit“ an das Licht der Öffentlichkeit geholt werden kann, ist derzeit jedoch noch unklar.
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