
© Andreas Klaer
Nachruf auf Dietrich Schönherr: Ur-Vertrauen in Gott und viel Zugewandtheit für seine Mitmenschen
Gerade noch hörte er bereits schwer erkrankt bei einem Abschiedskonzert für ihn auf Hermannswerder zu, jetzt ist Dietrich Schönherr, Musiklehrer und Chorleiter des Evangelischen Gymnasium, verstorben.
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Als vor kurzem ehemalige Schüler des Evangelischen Gymnasiums zu einem Konzert nach Hermannswerder eingeladen wurden, war es ein trauriger Anlass: ein Abschiedskonzert für Dietrich Schönherr, der von 1981 bis 2010 Musiklehrer und Chorleiter dieser Schule war. Das Echo war überwältigend: Etwa 140 Ehemalige reisten an, aus ganz Deutschland, von Lübeck bis München, um in der Kirche für ihren schwer erkrankten Lehrer zu singen und zu musizieren. Am Ende trieb es nicht wenigen die Tränen in die Augen, als es bei Matthias Claudius hieß: „So legt euch denn, ihr Brüder, in Gottes Namen nieder, kalt ist der Abendhauch. Verschon’ uns, Gott! mit Strafen, und lass uns ruhig schlafen und unsern kranken Nachbar auch!“
„Das Lied habe ich Euch damals bei jedem Konzert der Chorfahrten singen lassen“, sagte Schönherr bei einem letzten Gespräch. So viel Ur-Vertrauen in einen guten Gott und so viel Zugewandtheit für die Mitmenschen – das war es, was Dietrich Schönherr ausmachte und was er seinen Schülern mit der Musik vermitteln wollte und konnte, auch wenn diese es manchmal erst viel später bemerkten.
Unter Leitung des Schönherr-Nachfolgers Matthias Salge wurde am 25. Juni einmal quer durch drei Jahrzehnte Schulchorprogramm gesungen, anspruchsvoll, wunderbar fröhlich bis besonnen, von Bach bis Gospel. Und Schönherr, der mit seiner Frau Cordula im Mittelgang saß, sagte unter Tränen: „Das könnte jetzt immer so weitergehen.“
Aber die Erkrankung war stärker als der Wunsch, am gestrigen Mittwoch (19.7.) ist Dietrich Schönherr im Alter von 76 Jahren zu Hause auf Hermannswerder verstorben: inmitten seiner großen Familie.
Das könnte jetzt immer so weitergehen.
Dietrich Schönherr, am 25. Juni bei seinem Abschiedskonzert auf Hermannswerder
Schönherr stammte aus einer zutiefst christlichen Familie. Sein Vater war der Theologe und spätere Bischoff der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg Albrecht Schönherr. Seine Eltern lernten sich im studentischen Bonhoefferkreis kennen und wurde noch von Dietrich Bonhoeffer getraut.
1981 kam Dietrich Schönherr als junger Musiklehrer an das Kirchliche Oberseminar Hermannswerder, eine einzigartige Schule in der DDR. Hier durfte die evangelische Kirche, geduldet von der DDR-Regierung, junge Menschen nach eigenem Lehrplan bis zum Abitur unterrichten, mit dem man bis 1989 allerdings nur für ein Studium der Theologie oder Kirchenmusik zugelassen wurde. In der Internatsschule in Insellage trafen Schüler und Lehrer aufeinander, die dem staatlichen Bildungsmonopol entrinnen wollten. Ein Ort des freien Lernens und Denkens.
Schönherr unterrichtete Musik, gab Orgelunterricht und leitete beide Schulchöre. Dazu kam regelmäßiger Internatsdienst. Vor allem begegnete man sich intensiv bei den jährlichen Chorfahrten mit der gesamten Schülerschaft – jedenfalls bevor die Schule nach der Wende als ordentliches Gymnasium auf ihre heutige Größe anwuchs.
Erleben von Gemeinschaft
„Ich hatte damals von Didaktik wenig Ahnung und dachte immer, das müssen die Schüler mir doch ansehen“, sagt Schönherr einmal. Es war genau umgekehrt, das Chorsingen war weit mehr als ein Pflichtfach, es war für viele eine prägende Begegnung mit der Musik und ein Erleben von Gemeinschaft. „Jeder kann singen“, pflegte Schönherr zu sagen und war davon wirklich überzeugt. Wenn er ein besonderes Talent sah, unterstütze er seine Schüler, sich zu trauen und die Musik zum Beruf zu machen. Viele taten das. Beim Wiedersehen vor wenigen Wochen freute er sich, zu erfahren, was aus seinen Schülern geworden war. Und sparte in den Gesprächen nicht mit dem für ihn typischem Humor: „Aha, Musiklehrerin bist du. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Musiklehrer sein ist entweder ganz schrecklich oder einfach nur schön.“
Bei ihm traf letzteres zu. Schönherr war außerdem stets vertrauensvoller Ansprechpartner für seine Schüler, in allen Dingen, bei Kummer oder sonstigen Grübeleien. Manchmal bestand die Hilfe auch darin, wegzuschauen: Er hatte ein Gespür dafür, wann er sich als Lehrer einmischen sollte, wann sein Rat gefragt war – oder wann es besser war, über etwas hinwegzuschauen. Eine Zeitlang war sogar Stricken in der Chorprobe erlaubt, sofern man gerade nicht dran war, aber stets wusste, wo man war. Man fühlte sich fair behandelt und ernst genommen. Zur Vertrauensbasis trug mit Sicherheit auch bei, dass er gemütlicher Pfeifenraucher und Skatspieler war.
Nackt baden
Und er war Familienmensch. Seine zweite Frau Cordula war kaum älter als seine Schüler, als sie 1982 heirateten. Gefeiert wurde auf Hermannswerder, es war Juli und die Gesellschaft ging zum Schrecken der Diakonissen nackig baden. Cordula Schönherr wurde seine wichtigste Partnerin bis zuletzt. Fünf Kinder und viele Enkel gehören heute zur Familie.
Auch außerhalb der Schule prägte Schönherr die Musiklandschaft, er war Gründer und langjähriger Leiter der Potsdamer Orchesterwoche und gab regelmäßig Orgelkonzerte. Was ihn auszeichnete, war die Vielseitigkeit, mit der er in der Musik unterwegs war, seine Lust, Neues zu probieren und seine Schüler dafür zu begeistern. Er hatte Humor und wenn es sein musste auch Chuzpe. Unter Coronabedingungen, Singen war noch verboten, lud er zur Weihnachtsandacht in die Nagelkreuzkapelle und raunte manchem Gast zu: „Wir singen hinterher an der offenen Tür noch fünf Lieder, aber psst!“
Er wollte noch nicht gehen, zu schön schien ihm die Welt. Zur Trauerfeier hat er sich Hugo Distlers Totentanz gewünscht. „Die Seele, weil sie ist geborn zur Ewigkeit, hat keine wahre Ruh in Dingen dieser Zeit.“
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