Landeshauptstadt: Nächtliches Wirtschaftszentrum
In der so genannten „freien Kunstwerkstatt“ am Brauhausberg wurde Eröffnung gefeiert
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Teltower Vorstadt - Noch ist es ruhig auf der Heinrich-Mann-Allee. Das große Tor der ehemaligen Brauerei, in der vor einem Jahrzehnt noch das Rex-Pils gebraut wurde, ist geschlossen. Kein Licht, kein Schild weist darauf hin, dass hier in wenigen Minuten Potsdams größter Musik- und Kulturclub zum Einstand eine Elektroparty veranstaltet. Drei Stunden später werden Hunderte von Jugendlichen und Junggebliebene auf dem Bürgersteig Schlange stehen.
Der kleine Innenhof wäre unheimlich, wenn er nicht von dem großen bunten Zelt eines Getränkeherstellers überspannt würde. An einer Seite ist ein Grill aufgebaut. Ein grelles, blendendes Licht ist auf den Rost gerichtet.
Bevor man in die Halle des Untergeschosses tritt, muss ein Kassenverschlag passiert werden. Für den Eintritt von zehn Euro bekommt man eine Verzehrkarte. Ein System wie in einer Großdisko. Bei dreißig Euro ist zunächst Schluss. An der Bar stehen junge Mädchen, denen ein Filzstift um den Hals baumelt. Mit breitem Klebeband wurde er an einer Schnur fixiert. Mit dem wird der Getränkepreis auf der Karte abgestrichen. Wer wieder raus will, muss erst an der Kasse bezahlen.
Die Betreiber des Brauhausberges, Nicky Pfister und Oli Rössner, geben ihren Helfern letzte Instruktionen. So kurz vor dem Start sind alle nervös. Der Licht-Jockey Adria läuft mit einer Dreier-Steckdosenleiste durch die Gegend. Damit bringt er eine Fotowand von der Größe eines Zigarettenautomaten zum Leuchten. Sie zeigt Menschen mit nacktem Oberkörper, die lachen oder grimmig gucken. Das könnten Werke des Fotografen Ali Kepenek sein. Der Betreiberverein „Brauhausberg“ will auch Galerie und Literaturhaus sein. „Wir sind offen für alle Kunstsachen“, sagt Nicky Pfister. Am 2. Juni soll Wladimir Kaminer aus Berlin kommen.
Die Diskjockeys überprüfen noch die Lautstärke der Tonanlage mit ihren Mauern versetzenden Bässen. Elektro ist keine Schmusemusik. Die Top-DJs des Abends nennen sich „Einmusik“. Die ersten drei Stunden, heißt das, wird nur ein Lied gespielt, bestehend aus einem einzigen dumpfen aber sehr lauten Dröhnen.
Die ersten Gäste betreten die Halle. Sie ist zu roh und unbehauen, um majestätisch zu wirken. Die Größe dazu hätte sie. Kabelkanäle kreuzen die Decke, Industriescheinwerfer flackern bunt zum Beat. Eine Stahltreppe führt in den ersten Stock. Dieser Saal ist noch größer, noch dunkler, noch industrieller. An einer langen Bar aus Glasbausteinen werden hier die Gäste versorgt. Eine mindestens fünfzig Meter lange Sofalounge aus weißem Kunstleder ist das einzige größere Möbel, auf das man sich setzen könnte. Ohne Rückenlehne, aber mit rot leuchtender Abstellfläche für Bierflaschen und Aschenbecher. Sonst sind nur wenige Sessel verteilt, die so klein und verloren wirken, als wolle sie jemand gleich wegfegen.
Zunächst sind es hauptsächlich Jungs, die diesen Abend nutzen wollen. Vielleicht fühlt sich ihre Natur zwischen geflickten Mauern und auf kalten Betonböden einfach wohler. Eine halbe Stunde später kommt es zur ersten Schlange an der Kasse. Einige waren schon feiern. Von der „Blüte“ in Werder trägt man noch leere Obstweinflaschen mit sich. Eine Gruppe interpretiert eigensinnig den gesetzlichen Jugendschutz: „Einer reicht doch, der achtzehn ist.“ Mancher dreht an der Kasse sofort um. Der Eintritt ist für eine Eröffnungsparty viel zu hoch, sagen sie. Einige Protagonisten der Potsdamer Kultur erscheinen aus Neugierde. Sie machen vor der Kasse kehrt, denn dieser Abend gehört der Elektrojugend. Das hört und sieht man. Über die Macher und das Konzept der „alternativen Kunstwerkstatt“, die – so wird betont – ohne jegliche staatliche Förderung arbeiten wird, ist noch wenig bekannt. Der Trägerverein, so Betreiber Pfister, befinde sich noch in Gründung.
Immer, wenn ein Regionalexpress am nahen Bahnhof eingefahren ist, steht ein neuer Pulk vor dem Tor. Der stämmige Typ von der Security muss sich der anschwellenden Menge in den Weg stellen. Zunächst werden Mädchen bevorzugt. „Weiber vor“, ruft jemand. Der Ton ist rau wie die Musik.
Dann fehlt offensichtlich Wechselgeld. Nur, wer es passend hat, darf weiter. Dreihundert junge Menschen sind zu diesem Zeitpunkt bereits im Saal. Draußen, vor dem Tor, reicht die Schlange fast bis zum Leipziger Dreieck. In Gruppen steht man auf dem Bürgersteig und den Gleisen der Straßenbahn. Gegenüber, hinter einem hohen Zaun, die schlafenden Ministeriengebäude. Sieht so aus, als habe Potsdam ein neues Wirtschaftszentrum. Für die Nacht.
Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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