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Kolumne Etwas HELLA: Nachts mit den Wölfen heulen

A uf der Reeperbahn nachts um halb eins ist sicher mehr los als in der Potsdamer City. Aber der Vergleich ist natürlich ungerecht, wenn nicht gar frivol.

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A uf der Reeperbahn nachts um halb eins ist sicher mehr los als in der Potsdamer City. Aber der Vergleich ist natürlich ungerecht, wenn nicht gar frivol. Denn wir sind hier höchstens etwas preußisch verklemmt lustvoll und ganz anderer Tradition verhaftet. Also was machen die Potsdamer nachts? Sagen Sie jetzt bitte nicht: schlafen. Schließlich hat die letzte Bürgerbefragung der Stadtverwaltung ergeben, dass die Verkehrs- und Wohnprobleme zwar am meisten nerven, aber das mangelnde Nachtleben auch.

Wenn ich mich jedoch recht erinnere, gab es in der Vergangenheit eine Reihe von Angeboten für Nachtschwärmer. Und keiner ging hin. Eine Lokalität hieß sogar einmal ganz aufmüpfig „Nachtleben“. Die Betreiber gaben mangels Gästen auf. Im Mercure-Hotel wurde die Tanzbar, die zu DDR-Zeiten so stark nachgefragt war, dass man kaum hineinkam, sofort umgebaut und zu kleineren Konferenzräumen verhackstückt. Angeblich zu wenig Publikum. Beim Klosterkeller gab es in der oberen Etage mehrere Anläufe, eine Nachtbar zu installieren. Ohne Erfolg. Und das Minsk hatte trotz der Ü30- und Ü40- oder was weiß ich noch für Partys keine Überlebenschance. Vielleicht waren diese Lokalitäten aber auch nicht hip genug. Da fehlt mir leider etwas der Durchblick. Denn ich bin nicht mehr der Jahrgang, der nachts um die Häuser zieht oder zur Diskomusik auf der Tanzfläche herumwackelt. Ich muss auch nicht vor lauter Begeisterung Schreikrämpfe kriegen, wenn Rockstars beim Stadtwerkefest die Luft zum Kochen bringen. Aber schön ist es doch, wenn sie es schaffen. Hinterher noch ein Gläschen Wein in einer Bar, davon gibt es einige selbst im schlafmützigen Potsdam, und mein Nachtleben ist gesichert.

Was aber machen Potsdamer Studenten, die in die Jahre gekommenen Teenager und die anderen Hippies nachts? Entfliehen die alle nach Berlin, obwohl das nicht einfach ist mit einer S-Bahn, die gerade mal wieder nicht fährt? Oder machen die privat Party, rotten sich heimlich zusammen, schlafen womöglich doch oder sind sie mit Daumendrücken beschäftigt, damit die Gestaltung der Innenstadt zwischen Platz der Einheit und Altem Markt vorangeht? Eine freigezogene Fachhochschule, die keiner ausbauen will, geschweige denn für ein frohes Jugendleben viel Geld hineinstecken wird, befördert das Nachtleben bestimmt nicht. Dann vielleicht doch lieber eine Altstadt mit kleinteiligem Amüsement und rappelvollen Kneipen?

Vorerst und ganz aktuell empfehle ich, sich als Nachtschwärmer zwischen die Wölfe auf dem Alten Markt zu stellen und wegen des fehlenden Nachtlebens den Vollmond anzuheulen. Allerdings besteht da die große Gefahr des ruhestörenden Lärms und „Blinder Hasser“ oder „Kraftprotz“ sind auch nicht unbedingt die beste Gesellschaft. Freuen wir uns also erst einmal gemeinsam auf Carlos Santana zum Stadtwerkefest und darauf, dass er mindestens bis zwölfe in die Gitarrensaiten greift. Nachtleben will geübt sein, wenn es sein muss bis ins hohe Alter.

Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam.

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