Landeshauptstadt: Napoleon lag nicht in Luises Bett
Vor 200 Jahren hielt sich der französische Kaiser für drei Tage in Potsdam auf
Stand:
Am Wochenende erobert Napoleon Berlin zum zweiten Mal. Sahen die Bewohner am 27. Oktober 1806 dem Einmarsch des Siegers von Jena und Auerstedt in Furcht in Schrecken entgegen, so gibt es 200 Jahre später ein vom Verein Historiale veranstaltetes zweitägiges Spektakel mit einem Umzug vom Brandenburger Tor durch Berlin-Mitte sowie einem Biwak von Uniformgruppen in Moabit. Dazu Vorträge, Lesungen und die Vorstellung des von dem Potsdamer Militärhistoriker Dr. Frank Bauer verfassten Buches „Napoleon in Berlin“. (Vorstellung am Sonnabend, 28.10., 12 Uhr bei Berlin Story, Unter den Linden 40.)
Potsdam selbst, wo der Korse am 24. Oktober 1806 für drei Tage eintraf, würdigte das Jubiläum dagegen nur in bescheidenem Maß. Dafür sorgten die Französisch-Reformierte Gemeinde mit ihrer jungen Gemeindeältesten, der Historikerin Silke Kamp, und der Förderverein des Potsdam-Museums mit seinem Vorsitzenden Markus Wicke. Auf einem historisch-literarischen Abend gaben sie in der Französischen Kirche einen Einblick in die bewegten Tage und versuchten zugleich, mit einigen Legenden aufzuräumen. So hat der Kaiser, der im Stadtschloss Quartier nahm, eben nicht im Bett seiner politischen Widersacherin Königin Luise geschlafen, sondern im Gästezimmer für Zar Alexander, der 1805 Potsdam besucht hatte. Im Stadtschloss sprach er, den Degen Friedrichs des Großen in die Hand nehmend, auch das berühmten Wort: „Wenn der Mann, der diesen Degen geführt hat, noch lebte, ständen wir nicht hier.“ Seine meist als „Sic transit gloria mundi“ (So vergeht der Ruhm der Welt) wiedergebene Äußerung in der Garnisonkirche, wo er die schlichte Ausstattung der Königsgruft als respektlos empfand, lautete allerdings wohl eher „Wenn man tot ist, ist doch der Ruhm unsterblich.“ So hat es der preußischen Kammerdiener Tamanti überliefert, der Napoleon in Potsdam betreute. Seine erhalten gebliebenen Erinnerungen nahm Markus Wicke zum Ausgangspunkt für seine Darlegungen. Silke Kamp beleuchtete das Verhältnis der bis 1808 in der Stadt liegenden Besatzungstruppen. Von anfänglichen Übergriffen und Plünderungen, über die sich im Stadtarchiv zahlreiche Beschwerden erhalten haben, blieben selbst die als Glaubensflüchtlinge aus Frankreich nach Potsdam eingewanderten Hugenotten nicht verschont. So entzündeten Soldaten aus der Borke, die der Lederwarenfabrikant Huguenel zum Gerben der Häute brauchte, ein riesiges Lagerfeuer und verbrannten den zum Transport benutzten Pferdewagen gleich mit. Auch Lebensmittel, Wein und Wertgegenstände wurden geplündert. Als nach ein paar chaotischen Tagen die Versorgung der Truppen und ihrer Pferde gesichert war, sorgte die Stadtkommandantur jedoch für Ordnung. Auch dass die Kavallerieeinheiten Kirchen als Pferdeställe benutzen, sei unbewiesen. In der Französischen Kirche habe sich nach sorgsamen Ausbau bzw. Sicherung des Mobiliars jedenfalls lediglich ein Strohmagazin befunden.
Keineswegs könne man also, so Silke Kamp, von einer Gewaltherrschaft der Besatzer sprechen. Sie seien sogar zum Arbeitgeber für zahlreiche Potsdamer geworden. Dabei ließ sie freilich unberücksichtigt, dass die Stadt allein für die Beherbergung der Truppen 850 000 Taler aufbringen und deshalb sogar in Insolvenz gehen musste. Manufakturen stellten ihre Arbeit ein, die Zahl der Arbeitslosen und Bettler stieg auf mehrere tausend, 2500 Potsdamer verließen während der zweijährigen Besetzung ihre Heimatstadt. Nach den Befreiungskriegen 1813/14 erholten sich Wirtschaft und städtisches Leben nur langsam.
Erhart Hohenstein
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