Landeshauptstadt: „Nazi-Vergleiche und Hausbesetzungen helfen nicht“
Heinz Kleger, Potsdamer Politik-Professor über die aktuelle Jugendkulturdiskussion und das Toleranzedikt
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Herr Prof. Kleger, Potsdam erlebt eine heftige Diskussion um Jugendkultur, die auch mit Toleranz zu tun hat. Nacheinander gab es einen umstrittenen Polizeieinsatz an der Skaterhalle, die Protest-Aktion im Stadtparlament, den Nazi-Vergleich von Oberbürgermeister Jann Jakobs und seine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch gegen die Party-Besetzer der Skaterhalle. Was läuft gerade schief?
Die Museums- und Touristenstadt, die erst kürzlich wieder ausgezeichnet worden ist, hat objektiv – ohne bösen Willen zu unterstellen – andere Prioritäten als eine autonome Jugendkultur in der Innenstadt. Eines der Ergebnisse des Stadtgesprächs war, dass sich die Jugendlichen nicht ernst genommen und an den Rand gedrängt fühlen. Gleichwohl hätte ich als autonomer Jugendlicher das Angebot der Stadt angenommen, dass der Spartacus e.V. zumindest für den Übergang die Räume der ehemaligen Humboldt-Buchhandlung nutzen kann. Das wäre ein Sprungbrett gewesen, um sich am gigantischen Umbau der Potsdamer Mitte zu beteiligen. Denn das Motto „Freiräume statt Schlossträume“ kann keine Perspektive für die Stadtentwicklung sein. Es müsste „Freiräume und Schlossträume“ heißen.
Nun scheinen die Fronten zwischen Jugendlichen und der Stadt verhärtet. Sie haben während der Neuschreibung des Edikts betont, wie wichtig Gesprächsfähigkeit ist. Wie kommen beide Seiten wieder an einen Tisch?
Eine Idee wäre gewesen, die Kulisse der Toleranz-Ausstellung in den Bahnhofspassagen für ein gemeinsames Gespräch zu nutzen. Leider fehlt es auf allen Seiten vielfach an Eigenständigkeit und Phantasie. In der Präambel des neuen Toleranzediktes heißt es, Toleranz bedeutet auch, aber nicht nur Geduld; sie wird aktiv, wenn Menschen aufeinander zugehen und miteinander ins Gespräch kommen; das geduldige Zuhören gehört ebenso dazu wie das engagierte Debattieren. Dabei helfen keine Hausbesetzungen, Nazi-Vergleiche, Strafanzeigen und Parlaments-Störungen.
Fast parallel zu der Diskussion fand jüngst die besagte Ausstellung zum Toleranzedikt statt. Innerhalb von einer Woche haben sie 1200 Menschen besucht, pro Tag also rund 200. Zu wenig für eine Aktion, die Stadtgespräch sein wollte?
Nein. Es kommt nicht immer auf die Zahlen an, sondern auf das, was inhaltlich passiert. In der zweiten Woche haben wir beispielsweise die Ausstellung nur für Schulen geöffnet. Fünf Schulen haben sich beteiligt, mit Gesprächsrunden zum Thema Gewalt und Ausgrenzung an Schulen und zu Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Und inhaltlich ist etwas passiert: Einige Schüler wollen selber die Idee mit den Diskussionstafeln aufgreifen und weiterführen, andere wollen eigene Projekte anstoßen.
Kritiker meinen, das Edikt sei bloß eine Imagekampagne für Potsdam gewesen
Imagekampagnen gibt es in und für Potsdam genug. Das Toleranzedikt als Stadtgespräch war in der alltäglichen Realität etwas ganz anderes. Es ging um Identität und Selbstverständnis und nicht um Image und Oberflächlichkeit. Solche tiefergehenden Prozesse kann man nur anregen. Das ist glaube ich gelungen. Es war Zeit für zahlreiche ernsthafte Gespräche. Lesen sie die Abschlussbroschüre, die alles andere als ein Marketingprodukt ist. Es finden sich darin genug Inhalte, auf die man sich aus unterschiedlichen Perspektiven beziehen kann. Dies allerdings würde ich mir noch deutlich mehr wünschen.
Was hätte während der Neuschreibung des Edikts noch anders laufen müssen?
Es war ein einmaliges Experiment, bei dem man danach immer klüger ist. Am Anfang hätte ich mir von allen Seiten mehr inhaltliche Unterstützung gewünscht. Gerade die Resonanz bei den Studenten der Potsdamer Hochschulen ist viel zu gering für eine Stadt, die eine Wissenschafts- und Universitätsstadt werden will. Dies hängt wiederum mit der objektiven Situation Potsdams zusammen, die nicht nur vor allem eine Schlösser- und Parkstadt ist, sondern auch in der unmittelbaren Nähe von Berlin liegt. Viele Studenten wohnen dort und gehen hier an die Uni wie an eine Schule, vielen fehlt deshalb die Beschäftigung mit der Stadt. Diese Stadt könnte aber eine besonders interessante Schule sein - von der Geschichte wie von der Gegenwart her. Dieses Potential wird nicht genutzt.
Die zentralen Punkte des Toleranzedikts sollen die Selbstverpflichtungen für Toleranz sein. Parteien haben sie unterzeichnet, auch Vereine wie die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Fehlt mit der Stadtverordnetenversammlung nicht der wichtigste Akteur?
Von der neuen Stadtverordnetenversammlung erhoffe ich mir noch eine Stellungnahme im Sinne einer orientierenden Empfehlung. Insbesondere die Jungen in den verschiedenen Parteien könnten sich inhaltlich auf das neue Edikt beziehen und sagen, was es für die Stadt bedeutet - gerade in der jetzigen Auseinandersetzung um die Jugendkultur.
Was bleibt aus ihrer Sicht von der Neuschreibung des Potsdamer Toleranzedikts dauerhaft für die Stadt haften?
Es bleibt das haften, was die Potsdamer mit den Informationen, Anregungen und Anknüpfungspunkten des Edikts machen. Die Präambel des Edikts kann als Orientierungsrahmen für die Stadt betrachtet werden. Es gibt genügend Hinweise, auch kritische, die deutlich machen, was Stadt der Bürgerschaft für Potsdam heißen könnte. Wie viel Interessantes dazu in den Stadtteilen außerhalb der historischen Innenstadt läuft, wird ebenso deutlich. Das neue Tolanzedikt überschneidet sich zudem mit dem Integrationskonzept der Stadt.
Sie haben während der Aktion viele Aspekte der Stadt kennen gelernt. Was hat sie besonders negativ überrascht?
Besonders negativ hat mich nichts überrascht, im Gegenteil: Ich musste zahlreiche Vorurteile korrigieren. Ich hatte viele Gelegenheiten, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, mit denen sonst kaum gesprochen wird - die große Zahl der 150 000 Potsdamer. Es gibt so etwas wie eine Spaltung Potsdams - in das Image nach außen, welches als Kulisse ge- und missbraucht wird, und in ein Potsdam der zahlreichen Einwohner in Stadtteilen, die man gar nicht als Potsdam kennt.
Das neue Jahr beginnt bald. Vor den Erfahrungen des Toleranzedikts: Welche drei Wünsche haben sie für Potsdam?
Erstens wünsche ich mir für die Kinder, dass es mindestens zwei Wochen Schnee gibt. Ohne eine Kindheit mit Schneemännern und Rodeln fehlt etwas. Zweitens sollten sich die Generationen in Potsdam nicht auf die Lager Freiräume und Schlossträume verteilen. Drittens wünsche ich mir, dass wir nicht nur in Kategorien von Kommerzialisierung, des Images oder von Ranglisten denken, sondern uns wieder mehr Gedanken über Inhalte machen: Etwa über die Zukunft der Demokratie.
Das Interview führte Henri Kramer
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