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Von Jan Brunzlow: Neue Gefahr für die Schulen

Anzahl der 11. Klassen sinkt im kommenden Schuljahr um ein Viertel / Schulleiter krisieren die Schulreform

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Das Tal der Tränen erreicht die Sekundarstufe II. Ab kommendem Schuljahr rechnet die Verwaltung mit einem deutlichen Rückgang der Schülerzahlen in den elften Klassen der Gesamtschulen und Gymnasien. Statt derzeit 27 werden ab August nur noch Schüler für 20 elfte Klassen erwartet, sagt Bildungsbeigeordnete Gabriele Fischer. Das könnte das Aus weiterer Sekundarstufen II an Gesamtschulen oder Gymnasien in der Landeshauptstadt bedeuten. Der Tiefpunkt werde 2010 erreicht. Die bereitstehenden Rettungspakete der Schulleiter und der Verwaltung, die derzeit über die Gestaltung der Schullandschaft in Potsdam diskutieren, sind prall gefüllt – darunter auch Placebos.

Mehr als 30 Zuhörer kamen am Dienstagabend zu einer Veranstaltung der Linken, unter ihnen zahlreiche Schulleiter. Und eines wurde ganz deutlich: Die Sichtweisen auf das Problem könnten kaum unterschiedlicher sein. Oberschul-Leiter beklagen sich über das System und die mangelnde Ausstattung, Vertreter erfolgreicher Schulen werfen den bisherigen Verlierern der Schüleranwahl vor, ihre Hausaufgaben nicht gemacht zu haben.

„Mir ist egal, was da draußen dran steht“, sagte Ortrud Meyhöfer in der Diskussion. Ob Gesamtschule oder Gymnasium, entscheidend sei das Konzept und das Engagement in der Schule. Meyhöfer leitet seit Mitte der 90er Jahre die Voltaire-Schule, eine Gesamtschule in der Innenstadt. Saniert, gut ausgestattet und Brandenburgs einzige Gesamtschule, die sich der Förderung besonders begabter Schüler in den Leistungs- und Begabungsklassen verschrieben hat. Ihr Credo: Alles unter einem Dach. Sie möchte künftig Schüler nach 12 und 13 Jahren zum Abitur führen, Leistungsklassen haben und auch den Realschulabschluss anbieten. Auch Carola Gnadt, Leiterin des Humboldt-Gymnasiums sagte, die Schulstruktur könne an diesem Tisch nicht verändert werden. Die Rahmen seien gesetzt, jetzt müsse das Beste daraus gemacht werden. Ihre Schule hat den meisten Zuspruch der vier städtischen Gymnasien.

Dass ein Schild Gymnasium an der Eingangstür nicht sofort dazu führt, dass die Klassen proppevoll sind, wissen Vertreter des Leibniz-Gymnasiums (siehe Interview). Nun hat sich die Schulkonferenz der Goethe-Gesamtschule sich dafür ausgesprochen, den Namen Gesamtschule abzulegen, um Gymnasium werden zu können. Hintergrund: Die Goethe-Schule wird im kommenden Jahr vermutlich ihre Sekundarstufe II verlieren, weil sie zu wenig Anmeldungen von Schülern erhält. Denn das Schulgesetz besagt, kann an einer Gesamtschule keine elfte Klasse gebildet werden, so wird sie zur Oberschule.

In Potsdam waren die Oberschulen in den letzten Jahren trotz gelungener Schulkonzepte der verbliebenen Einrichtungen die Verlierer des Auswahlverfahrens der Eltern, das sogenannte Ü7-Verfahren. Dabei suchen Eltern für ihre Kinder in der sechsten Klasse eine weiterführende Schule aus: Drei Viertel derer wählen ein Gymnasium oder eine Gesamtschule. Vermutlich, weil dann alle Wege, ob Abitur oder Abschluss 10. Klasse - offen stehen.

Die Undurchlässigkeit des Schulsystems ist ein Kritikpunkt von Werner Lindner. Er ist Leiter der Kollwitz-Oberschule in der Brandenburger Vorstadt. Vor Jahren noch eine florierende Realschule, herrscht seit dem Zwangs-Namenswechsel in Oberschule Flaute bei den Anmeldungen. Lindner ärgert sich über die Art, wie die Schulreform in Brandenburg durchgeführt worden ist. Nun müssen Schulleiter wie Lindner und Christiane Ohlert (Coubertin-Oberschule) den Opfern des Systems, wie sich manche von ihren Schülern selbst nennen, wieder Lernmut einhauchen. Vorher abgewiesen, werden sie vom Schulamt an Oberschulen gesetzt. Andererseits führe das breite Angebot an Gymnasien und Gesamtschulen ihrer Ansicht nach zu einer schlechten Schülermischung. Die Schüler würden unterteilt in stark, gut und schwach. Es gebe vor allem für schwächere Schüler keine Orientierung mehr nach oben. Dabei „brauchen wir unterschiedliche Leistungsstärken in der Klasse“, so Ohlert.

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