
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Neue Hoffnung an der Endstation Bornstedt
Michael Dalchow kann sein Wohnmobil bald verlassen und könnte Talkshow-Gast werden
Stand:
Ein Euro und 17 Cent. So viel bleiben Michael Dalchow noch bis zum 31. dieses Monats. Mit der Abgabe von Leergut, sagt Dalchow, könnten es bis zu drei Euro sein. Die leeren Zigarettenhülsen, in die der 59-Jährige Tabak der Marke Jakordia stopft, gehen auch zur Neige. Aber Michael Dalchow ficht das jetzt nicht an, der Kühlschrank ist voll, erst tags zuvor hat er für einen Euro Lebensmittel von der Potsdamer Tafel geholt, Brot, eine gelbe Paprika, eine Schale Weintrauben, Wurst, Käse, Kartoffelsalat. Michael Dalchow ist guter Dinge: Nachdem seine Geschichte in den PNN stand, könnte er bald sogar zu den „Menschen bei Maischberger“ gehören. „Ich käme da infrage“, haben die Leute von der ARD-Talkshow gesagt, als sie ihn auf seinem Prepaid-Handy anriefen. Nachfragen, ob es wirklich klappt, wird Dalchow aber nicht. Seine Telefonkarte ist alle. Was aber das Beste ist: Dalchow hat jetzt sogar sehr konkrete Aussichten auf eine Drei-Zimmer-Wohnung.
Seit mehr als zwei Jahren lebt der hochgewachsene, dünne Mann in einem Wohnmobil, derzeit abgestellt auf einem Parkplatz in Bornstedt. Aus einem Winter, den er, wie er dachte, schon aushalten könne in seinem Fiat Liberty, wurden bereits zwei. Doch die Wohnungssuche in Potsdam verlief erfolglos: Obwohl das Jobcenter die Mietkosten übernehmen würde, obwohl ihm das Wohnungsamt freie Wohnungen im Plattenbaugebiet Am Schlaatz nachwies, bevorzugte die Gewoba jeweils einen anderen Interessenten. Dalchow wusste sich keinen Ausweg mehr und schaltete die Presse ein.
„Das wäre doch nicht nötig gewesen“, hieß es jetzt plötzlich bei den Ämtern. Man habe nicht gewusst, dass Dalchow sich in einer Notlage befinde, heißt es unisono. „Nach dem Artikel merkt man, wie die Leute aus ihren Löchern kommen“, freut sich Dalchow. „Dabei hab ich denen klar gesagt, dass ich mit dem Hintern auf der heißen Herdplatte sitze.“ Dalchow: „Gucken Sie mal richtig in ihren Computer, hab ich gesagt, da steht’s: Postanschrift!“ und nicht Wohnanschrift. Dalchow sagt, er habe die Adresse seines Neffen angegeben und auch, dass er im Wohnwagen lebe.
Es ist nicht nur so, dass der nächste Winter schneller naht, als es die heißen Temperaturen dieser Tage ahnen lassen. Was Dalchow mehr Angst macht, ist der mögliche Verlust seines ganzen Hausrates inklusive Waschmaschine, Kühlschrank und Polstersofa. Die Sachen stehen noch in Alzey (Rheinland-Pfalz), wo der gebürtige Potsdamer zehn Jahre lang als Haushandwerker bei der Lufthansa arbeitete. In Reaktion auf den Jobverlust, den Tod der Lebensgefährtin und den Tod der Mutter hat er dort alles in einem Zimmer zurückgelassen. Die Vermieterin macht Druck, er soll die Sachen abholen. Einen 7,5-Tonner werde er brauchen, sagt Dalchow. Doch wohin mit all dem, was er sich hat kaufen können, als er noch gutes Geld verdiente? Nicht in die Ein-Zimmer-Wohnung, die sie ihm zuletzt anboten. Die lehnte er ab.
Die Stadt reagierte zuerst. Nach dem Zeitungsartikel stellte sie Dalchow eine Sozialarbeiterin zur Seite. Diese telefonierte umgehend mit der Vermieterin in Alzey und erwirkte, dass seine Möbel noch bis Oktober dort bleiben können. Das Wohnungsamt bot ihm nun eine Drei-Zimmer-Wohnung im Bisamkiez am Schlaatz an. „Sie sieht sehr gut aus von außen“, findet Dalchow. „Ich strahle über alle vier Backen.“ Dabei liegt die Wohnung in der fünften Etage, neun Treppen führen hinauf und Dalchow hat Hüftprobleme. Einen Fahrstuhl gibt es nicht. Aber er sagt, er würde sie nehmen. Um den Einkauf nach oben zu kriegen, baue er sich eben eine Seilwinde an den Balkon: „Dann leier’ ich mir die Sachen nach oben.“
Die städtische Gewoba signalisierte, Dalchow könne sich auf ein Ende seiner Wohnungssuche Hoffnung machen. Alles hängt jetzt am Jobcenter. Bis zu 275 Euro Kaltmiete werden übernommen, 269,22 Euro kostet die Wohnung, das würde passen. Aber sie hat 66 Quadratmeter Wohnfläche, 16 mehr als für eine Person erlaubt ist. Es ist eine Frage der Kulanz – ob sie Michael Dalchow gewährt wird, erfährt der dünne Mann aus dem Wohnmobil am heutigen Donnerstag.
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