Verein Kulturlobby in Potsdam: Neue Nachbarn in der Videothek
Der Potsdamer Verein Kulturlobby bespielt ein Flüchtlingsprojekt in einer ehemaligen Videothek. Es geht aber um mehr als ein reines Projekt für Flüchtlinge.
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André Tomczak tut sich etwas schwer damit, das, was in den Räumen der ehemaligen Videothek Am Kanal stattfindet, als ein reines Projekt für Flüchtlinge zu bezeichnen. Es geht dabei nämlich um viel mehr, sagt der Sprecher der Kulturlobby – um neue Nachbarschaften nämlich.
Ursprünglich war der Laden dem Stadtteilnetzwerk Potsdam West von der Pro Potsdam angeboten worden, eine Begegnungsstätte sollte hier entstehen. Kurz entschlossen wurde der Potsdamer Verein Kulturlobby, der sich mit der Vernetzung Kulturschaffender der Stadt beschäftigt, noch mit ins Boot geholt, offizieller Mieter ist jetzt der Verein „Soziale Stadt Potsdam“. Bis Ende Februar kann das Objekt nun auch kulturell genutzt werden, bevor ab dem 1. März das Extavium einzieht.
Alte Räder werden gebraucht
Eine Fahrradwerkstatt ist zum Beispiel entstanden, ein gemeinsames Projekt mit Schülern der Montessori-Schule: Die Fahrräder sollen immer donnerstags wieder flottgemacht und den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt werden. Alte Räder werden nach wie vor benötigt, genauso wie andere Spenden.
Für die Kulturlobby ist das Projekt nicht ganz uneigennützig: „Wir können prima darauf hinweisen, dass es weiterhin Bedarf für Räume gibt, die kulturell genutzt werden können“, sagt Tomczak. Es gibt Jamsessions, Mal-, Tanz- und Yogakurse, aber auch Stadtführungen. Der ewige Zwischennutzer wolle man jedoch nicht bleiben, immer noch sei der Bedarf an kulturellem Freiraum viel größer als das Angebot und es gebe zu viele ungenutzte Räume.
Künstlerin restauriert alte Möbel mit Flüchtlingen
Die Potsdamer Künstlerin Steffi Ribbe etwa, die ihr Atelier auf dem Freiland-Gelände hat, ist ab jetzt jeden Freitag hier. Sie restauriert alte Möbelstücke und gibt ihnen ein buntes neues Leben zurück – schleifen, malen, kleben. „Ich möchte den Kontakt zu den Flüchtlingen und gemeinsam mit ihnen ihr erstes Möbelstück gestalten.“ Am Freitagabend waren noch keine Flüchtlinge da, die sollen in Zukunft gezielt abgeholt werden – mit Aushängen und persönlichen Ansprachen. Aber die Organisatoren freuen sich, dass der erste Musikabend so viele Menschen anlockte, die wissen wollten, was hier passiert. Willkommen sind alle Potsdamer, jeder mit Ideen kann unter der Woche von 12 bis 18 Uhr vorbeikommen.
Und da die Kulturlobby nun mit an Bord ist, gab es am vergangenen Freitag gleich ein Konzert: Das Duo Hand in Hand mit den Musikerinnen Beate Wein und Annett Lipske spielte entspannt-jazzige Musik nur mit Schlagzeug und einem Fender Rhodes, die Texte sind witzig, fast alle Stühle sind besetzt, jeder Song wird mit rauschendem Beifall belohnt – die Akustik in der großen Halle ist überraschend gut. Dennoch sollen Konzerte nicht der Schwerpunkt der Arbeit der Kulturlobby werden, schließlich wollen die Bewohner auch schlafen.
Während das Duo Hand in Hand am Freitagabend spielt, weht draußen vor den großen Schaufenstern weiter der Wind. Ein älteres Pärchen kommt vorbei, bleibt stehen, guckt durch das Schaufenster – und geht beherzt hinein. Klappt doch schon ganz gut mit der Nachbarschaft.
Oliver Dietrich
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