Landeshauptstadt: Neue Untersuchung im Fall Magnus setzt Diakonie unter Druck
Verunglücktes Kita-Kind: Analysen aus Münster und St. Gallen widersprechen Potsdamer Rechtsmedizinern
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Ein neues Gutachten im Fall des tödlich verunglückten Kita-Kindes Magnus soll die beiden unter dem Verdacht der fahrlässigen Tötung stehenden Kita-Betreuerinnen weiter belasten. Das sagte Andreas Wattenberg, Anwalt der Eltern des vor mehr als einem Jahr verstorbenen Kleinkinds, den PNN. „Wie schon bei einem anderen Gutachten aus Münster kommt die neue Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin in St. Gallen zu dem Ergebnis, dass Magnus mindestens zehn Minuten lang ohne Aufsicht war, während er erstickte“, so Wattenberg. Er hoffe, dass die Staatsanwaltschaft mit Hilfe der neuen Analyse bald offiziell Anklage erheben werde. Christoph Lange, Sprecher der Potsdamer Staatsanwaltschaft, bestätigte gestern die Existenz des Gutachtens, wollte es aber unter Verweis auf das „laufende Verfahren“ nicht kommentieren.
Die neue Studie aus St. Gallen soll dabei deutlich den ersten Untersuchungsergebnissen der Potsdamer Rechtsmediziner widersprechen – wie auch die Münsteraner Analyse vor rund drei Monaten (PNN berichteten). In Münster war man von einer Zeit zwischen sieben und zwanzig Minuten ausgegangen, in denen Magnus unbeaufsichtigt war, in Potsdam nur von rund drei Minuten. „Das erklärt sich damit, dass in Potsdam im Bezug auf die Zeit des Erstickens unter anderem keine Unterscheidung zwischen Männern und Kindern gemacht wurde“, sagte Wattenberg. Das Institut in der Schweiz gelte als „international angesehen“. Staatsanwaltschaftssprecher Lange sagte, seine Behörde habe die Potsdamer Rechtsmedizin um eine Stellungnahme zum neuen Gutachten gebeten, diese stehe aber noch aus.
Klarer stellt sich der Verlauf des Unfalls dar: Laut dem rechtsmedizinischen Institut der Uni-Klinik Münster hatte der 18 Monate alte Magnus am 26. Juni in der Kita „Regenbogenland“ am Hubertusdamm in einem Weideniglu gespielt. Dabei drückte er seinen Kopf offenbar durch zwei biegsame Äste – die zurück schnellten und ihm die Halsschlagader zudrückten. Mit seiner Gurgel blieb der bewusstlose Junge an einem Hanfseil hängen. Diese Version ist von der Staatsanwaltschaft bereits bestätigt. Gegen 10.50 Uhr wurde Magnus laut Zeugen reglos gefunden. Zehn Minuten später war die Notärztin da, versucht ihn wieder zu beleben. Im Krankenhaus fiel er ins Koma und verstarb am 4. Juli.
„Das Kind war auffällig gekleidet, das Iglu war von außen einsehbar und die Zeit, die Magnus nicht beaufsichtigt wurde, war zu lang – daher sehe ich Fahrlässigkeit“, so Wattenberg. Gleichzeitig verwies er auf das hohe Engagement der Eltern des toten Jungen: Ohne deren Hartnäckigkeit – sie haben die Gutachten aus Münster sowie St. Gallen selbst in Auftrag gegeben – wäre das Verfahren möglicherweise bereits eingestellt worden. „Leider sind noch nicht alle an dem Tag auf dem Hof anwesenden Zeugen vernommen worden“, so Wattenberg.
Der Fall ist noch aus anderen Gründen brisant: Die ehemalige Chefin der Kita, Sabrina M., hatte nach dem Unglück behauptet, dass Kind sei hängen geblieben und habe sich mit seiner Bernsteinkette selbst stranguliert. Damit machte sie indirekt die Eltern für den Tod ihres Sohnes verantwortlich, weil diese darauf bestanden hätten, dass Magnus den Schmuck trage. Auch die Führung des Diakonischen Werks Potsdam, dem Träger der Kita, hatte diese Version öffentlich vertreten. Sabrina M. und eine weitere Beschuldigte, die noch im „Regenbogenland“ arbeitet, haben bisher zu den Vorwürfen geschwiegen. Diakonie-Chef Marcel Kankarowitsch wollte gestern keine Stellung zum Verfahren nehmen.
Als eine Reaktion hatte Potsdams Sozialbeigeordnete Elona Müller einen Rundbrief an alle Kitas der Stadt verschickt und appelliert, selbst gebaute Spielgeräte von Sicherheitsingenieuren oder Experten von Unfallkassen überprüfen zu lassen. Das Weideniglu im „Regenbogenland“ hatte kein Sicherheitszertifikat und wurde inzwischen abgebaut.H. Kramer
H. Kramer
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