Landeshauptstadt: Neue Zeugen bei Tram-Unfall
Fall Marc-Philipp G.: Nicht nur seine Freunde wollen gesehen haben, dass Tram mit offener Tür losfuhr
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Bei den Ermittlungen zum Tod des von einer Straßenbahn überrollten 17-jährigen Marc-Philipp G. mehren sich die Hinweise, dass die Unfall-Tram mit offener Tür losfuhr. „Wir kennen inzwischen auch unabhängige Zeugen, die aussagen, dass die Tür geöffnet war“, sagte gestern Christoph Lange, Sprecher der Potsdamer Staatsanwaltschaft, den PNN. Bisher waren nur Schilderungen der Freunde von Marc-Philipp öffentlich bekannt geworden, die mit ihm die Stunden vor dem Unfall im Bornstedter Feld verbrachten.
Der 17-Jährige war in der Nacht zum 14. Juli von einer Tatra-Bahn erfasst und so schwer verletzt worden, dass er noch am Unfallort verstarb. Die Obduktion hatte ergeben, dass er zum Zeitpunkt seines Todes mit 1,77 Promille Blutalkohol erheblich betrunken war. Kurz zuvor hatte er mit Freunden die Feuerwerkersinfonie im Volkspark besucht und gefeiert. Da die Bahn mit offener Tür und ohne Warnsignal von der Haltestelle „Campus Pappelallee“ losgefahren sei, so die Freunde, sei Marc-Philipp abgerutscht und unglücklich unter die Räder des zweiten Wagens geraten. Nach dieser Schilderung soll der Fahrer zunächst nichts von dem Unfall bemerkt haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Er konnte allerdings noch nicht von den Ermittlern befragt werden, weil sein Anwalt zunächst Akteneinsicht beantragt hat.
Zunehmend gibt es aber auch Zweifel an der Technik und der Zuverlässigkeit der Türsicherung in den betroffenen Tatra-Bahnen. Inzwischen hat sich eine Potsdamerin bei den PNN gemeldet, der nach eigenen Angaben als Jugendliche ein ähnlicher Unfall passiert ist. Die heutige Ingenieurin an der Fachhochschule wollte am 2. Oktober 1998 mit einer Schulfreundin und Reisegepäck in eine Tatra-Bahn steigen fahren, erzählt sie. „Meine Freundin war schon drin und ich wollte mit meiner schweren Reisetasche hinter ihr her“, so die Potsdamerin Undine W., deren voller Name der Redaktion bekannt ist. Jedoch habe sich plötzlich die Tür geschlossen, sei dabei durch die Tasche gestoppt worden und wieder aufgegangen. Trotzdem sei die Bahn losgefahren, so Undine W.: „Ich geriet mit einem Bein zwischen Bahnsteig und Tram und habe mir blaue Flecken und Schürfwunden zugezogen.“ Sie habe Glück gehabt, „weil der Unfall viel schlimmer hätte ausgehen können.“
Im Fall von Undine W. ermittelte die Staatsanwaltschaft zwischen 1998 und 2000 wegen fahrlässiger Körperverletzung, bestätigte gestern die Kanzlei von Undine W.s Anwältin Sigrid Fröhlich. Das Interessante: Laut den Akten fertigte die Prüfgesellschaft Dekra bereits während dieser Ermittlungen ein Gutachten über die betroffene Tatra an. Auch im Fall von Marc-Philipp G. prüfen die Gutachter die Unfall-Tatra. Damals attestierte die Dekra dem Potsdamer Verkehrsbetrieb (ViP), dass eine Tatra wegen eines speziellen elektronischen Sicherung, der so genannte „Grünschleife“, nicht mit geöffneter Tür fahren könne. „Wir hatten als Schüler kein Geld für ein eigenes Gutachten und meine Anwältin sagte mir, dass meine Aussage vor Gericht wohl weniger Wert als das vorliegende Gutachten sei“, so Undine W. Gleichzeitig hätte der ViP auf ihre Freundin und sie Druck ausgeübt – etwa mit Anzeigen wegen Falschaussage oder falscher Beschuldigungen. „Der Fall mit Marc-Philipp hat mich betroffen gemacht, weil er mich an damals erinnert hat und ich Aufklärung möchte, wie sicher die Tatras wirklich sind.“ Zu diesem Fall konnte sich ViP-Sprecher Stefan Klotz gestern nicht äußern, da dieser „vor der Zeit“ der jetzt Verantworlichen läge. Auch eine Verbindung zu einem Fall Anfang 2006 wollte er nicht ziehen, als ein Mann mit einer Hand in einer Tatra-Tür hängen blieb und sich verletzte.
Unterdessen sind für den verstorbenen Marc- Philipp G., ein bekanntes Mitglied der Potsdamer Punkszene, drei Trauerveranstaltungen geplant: Seine Beerdigung ist am Freitag. Dazu sollen am 30. August – seinem 18. Geburtstag – ein Trauermarsch zum Unfallort und am 1. September ein Soli-Punk-Konzert im Archiv in der Leipziger Straße stattfinden.
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