Von Bernd Kluge: Neuer Glanz für altes Glas
Restaurierung der letzten von Russland zurückgegebenen Frankfurter Marienkirchscheiben hat begonnen
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Frankfurt (Oder) - Wie ein riesiges Puzzle wirkt das farbige Glasmosaik auf dem Leuchttisch in der Gläsernen Werkstatt der Marienkirche in Frankfurt (Oder). An einigen Stellen fehlen Teilstücke, das biblische Motiv der „Erschaffung Adams“ wirkt ramponiert. Vor dem Tisch mit der mittelalterlichen Scheibe steht Restauratorin Sandra Meinung. Ihre Augen wandern prüfend von den Fehlstellen zu den Scherben, die sie in den Händen dreht und wendet.
„Ich verschaffe mir gerade einen Überblick über die Schäden“, erläutert die 37-Jährige den Besuchern der Schauwerkstatt. Im Laufe des Jahres will Meinung hier die sechs letzten Scheiben der Chorfenster der Marienkirche restaurieren. Während 111 Felder der mehr als 650 Jahre alten Kunstwerke schon seit 2007 wieder an ihrem angestammten Platz hängen, sind die sechs jetzt in der Werkstatt liegenden Scheiben erst im November vergangenen Jahres aus Russland zurückgekehrt.
Sie waren einzeln verpackt und in großen Holzkisten verstaut. „Ich habe in der Verpackung eines anderen Bildes Glasscherben gefunden, die zu diesem Motiv gehören“, erzählt die Restauratorin und weist auf den blauen Himmel im oberen Bildteil. Das anfängliche „Loch“ über der „Erschaffung Adams“ legt sie mit den gefundenen Scherben aus. Meinung hat ein geübtes Auge, gehörte sie doch schon zum Restauratorenteam, das die anderen 111 Bleiglasfenster von St. Marien wieder zum Strahlen gebracht hat. Für die sechs gläsernen Nachzügler ist sie nun allein verantwortlich.
Die jahrzehntelange Odyssee vom Ausglasen der zerbrechlichen Kirchenkunst 1941 über ihren Transport ins Neue Palais nach Potsdam, von dort aus als Beutegut in die Sowjetunion und zurück an die Oder hinterließ ihre Spuren: Farbige Glasstücke sind zersprungen, andere fehlen ganz. Bleirippen, die das Mosaik zusammenhalten sollen, sind zerbrochen. „Schlimmer zugerichtet als die anderen 111 Scheiben sind die hier aber nicht„, sagt die Restauratorin.
Die Frankfurterin Waltraud Zabel und ihre Freundin Helga Zabel aus Bonn schauen Meinung interessiert über die Schulter. „Diese Restaurierung ist schon sehr spannend“, sagen die Besucherinnen, die sich regelmäßig von den Sanierungsfortschritten in der Frankfurter Marienkirche überzeugen. Die gläserne Bilderbibel sei schließlich „inzwischen deutschlandweit bekannt“.
Die Sprünge und Spalten im Glas wird Meinung mit einer haardünnen, zuvor in Zwei-Komponenten-Kleber getauchten Nadelspitze reparieren. Größere Fehlstellen werden farblich ersetzt. Schwieriger wird es mit der graubraunen Korrosionsschicht, die dem farbigen Glas die Leuchtkraft nimmt und die kostbaren Scheiben stumpf und schmutzig wirken lässt. Komplett verschwinden werden die Korrosionsflecken nicht, denn laut Meinung sitzen sie nicht nur auf der Glasoberfläche, sondern viel tiefer. „Im Mittelalter hatte Glas eine andere Zusammensetzung als heute. Um die Schmelztemperatur herabzusetzen, wurden Kalium und Kalzium verwendet, die im Laufe der Zeit mit dem Luft-Sauerstoff korrodierten“, erläutert die Expertin.
Mit dem Reinigen von Oberflächen, Sprungkanten und Bleinetz beginnt die eigentliche Restaurierung. Zunächst aber werden die sechs Scheiben im Auftrag des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege fotografiert, die Schäden sowie Verschmutzungen wissenschaftlich dokumentiert und im Computer kartiert. Erst danach nimmt Meinung Skalpell, Pinsel und Wattestäbchen zur Hand, um den wertvollen Glasmalereien mit Fingerspitzengefühl und Ausdauer eine Schönheitskur zu verpassen. Mit dem Lötkolben repariert sie das Netz der Bleieinfassungen.
„Mir kribbelt es jetzt schon in den Fingern“, bekennt sie. Etwa einen Monat will sich die gebürtige Erfurterin Zeit nehmen für das Restaurieren jedes Feldes. Nebenbei betreut Meinung Besucher der Gläsernen Werkstatt. „Ich will, dass die Leute daran teilhaben und nachvollziehen können, warum diese Arbeit Zeit braucht“, sagt sie.
Waltraud Zabel ist ebenso wie ihre Freundin von der Arbeit der Restauratorin beeindruckt: „Wenn ich diesen Scherbenhaufen hier liegen sehe, kann ich kaum glauben, dass daraus wieder ein vollständiges Mosaik entsteht.“ Im Herbst dieses Jahres, so plant Meinung, könnten die Restaurierungsarbeiten abgeschlossen sein. Gerahmt werden die sechs Scheiben dann an ihren Platz im Schöpfungsfenster gehängt, den jetzt noch Schwarz-Weiß-Folien-Kopien einnehmen.
Bernd Kluge
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