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Sport: Neuer Weltrekord soll her

Die blinde und körperbehinderte Martina Willing will für den SC Potsdam zu den Paralympics nach London

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Schon 52 und immer noch heiß auf Medaillen – Martina Willing strebt im Sommer dieses Jahres ihre siebenten Paralympischen Spiele an. Seit 1. Januar dieses Jahres startet die blinde und querschnittsgelähmte Leichtathletin für den SC Potsdam. „Ich bin weiterhin Mitglied bei meinem Heimatverein Stahl Brandenburg, mein Startrecht liegt jetzt aber beim SC Potsdam“, erklärt die nach wie vor ehrgeizige Sportlerin, die in den vergangenen 20 Jahren ein Dutzend Paralympics-Medaillen gewann. „Dreimal Gold, fünfmal Silber und viermal Bronze“, zählt die Werferin auf, die in ihrer Schadensklasse F56 die aktuellen Weltrekorde im Speerwurf (24,03 Meter) und Kugelstoßen (8,61) hält. „International habe ich insgesamt 60 Medaillen gewonnen, 16 davon bei Weltmeisterschaften.“

Martina Willing war von Geburt an sehbehindert, ehe sie mit 21 Jahren völlig erblindete. Was sie nicht daran hinderte, im Erwachsenenalter sportlich international durchzustarten. Bei ihren ersten Paralympics 1992 in Barcelona gewann die damals 32-Jährige bei den Blinden in der damaligen Schadensklasse B1 einen kompletten Medaillensatz – Gold mit dem Speer, Silber mit dem Diskus und Bronze mit der Kugel. Nur zwei Jahre später war sie wieder auf der Jagd nach Edelmetall – diesmal in der Loipe. Bei den Winter-Paralympics 1994 in Lillehammer gewann die gebürtige Brandenburgerin Silber mit der deutschen 3-mal 2,5-Kilometer-Langlaufstaffel und Bronze im Biathlon – hier richten sich die Blinden beim Schießen nach akustischen Signalen – über 7,5 Kilometer, ehe das Schicksal zuschlug. Im abschließenden 20-Kilometer-Langlauf war sie ebenfalls auf Medaillenkurs, stürzte aber, weil ihr Begleitläufer zu langsam war, musste operiert werden und fand sich im Rollstuhl wieder.

Aufgeben war aber ihre Sache nicht. „Körperlich war ich bald wieder ganz gut drauf, mental dauerte es etwas länger“, blickt Martina Willing auf jene Zeit zurück. 1996 bei den Sommer-Paralympics trat sie jedoch wieder an und belohnte ihren Durchhaltewillen mit Gold im Speerwurf sowie jeweils Bronze mit Kugel und Diskus. Vier Jahre später in Sydney, als mehrere Schadensklassen zusammengelegt wurden, holte sie Silber im Kugelstoßen, das Gleiche gelang ihr 2004 in Athen. „Das war mein Katastrophenjahr“, sagt Willing selbst dazu. „Ich hatte mir in Athen eine Streptokokken-Vergiftung zugezogen und fünf Tage 40 Grad Fieber. An Speer- und Diskuswurf war nicht zu denken. Dann war ich den ersten Tag fieberfrei, habe mich in den Kugelstoßring schieben lassen und nach zwei Probestößen mit 7,94 Metern wenigstens noch eine Medaille gewonnen.“ Die Paralympics 2008 in Peking beendete die Brandenburgerin mit Gold im Speerwurf – wobei sie mit 23,99 Metern knapp unter ihrem eigenen Weltrekord blieb – und Silber mit der Kugel. Ihre 8,61 Meter bedeuteten Weltrekord in der Schadensklasse F56, aber halt Platz zwei in der F56–58.

Bei Willings Starts bei den Körperbehinderten „ist meine Blindheit nicht entscheidend, da bin ich die Ausnahme“, so die Leichtathletin, die ihre Sportgeräte aus einem speziellen Wurf-Stuhl heraus stößt beziehungsweise wirft. Erschwerend für sie ist dabei, „dass mir laut Wettkampfregeln keine Hinweise gegeben werden dürfen“, erläutert Willing, die von Wilfried Melzer trainiert wird und beruflich als selbständige Compense-Bioenergetikerin tätig ist. „Meine Begleitung darf mich in den Innenraum bringen, sitzt dann aber weit von mir entfernt und darf kein Wort mit mir wechseln, darf mir nicht einmal die Weite, die ich auf der Anzeigentafel ja nicht sehe, nennen. Ich muss den Kampfrichter danach fragen, denn ich brauche die Information ja um zu wissen, ob mein Körpergefühl mit der Weite passt.“

In dieser Saison ist der Diskus für Martina Willing nicht mehr aktuell. „Das Diskuswerfen ist in meiner Schadensklasse für London leider aus dem Paralympics- Programm gestrichen worden“, sagt sie zur Begründung. Um so ehrgeiziger sind jetzt ihre Ziele an der Themse mit der Kugel am 1. und dem Speer am 5. September. „Der Zeitplan ist nicht schlecht, vier Tage Pause zwischen beiden Wettkämpfen könnten reichen“, glaubt Willing. Sie trainiert hart und diszipliniert, um bei fünf festgelegten Qualifikationswettkämpfen die Normen zu schaffen. „Die sind flexibel und so festgelegt, dass man in London zu den Medaillenkandidaten zählen muss“, erklärt sie. „Die Weltspitze liegt bei uns nur um Zentimeter auseinander, da kämpfen acht bis zehn Frauen um die drei Medaillen.“ In der vergangenen Woche absolvierte Willing täglich zwei Trainingseinheiten in Kienbaum, gestern übte sie wieder in der Werferhalle des Potsdamer Luftschiffhafens. „Mit der Kugel bin ich schon so gut drauf, dass ich mir mit ihr im Sommer einen neuen Weltrekord ausrechne“, sagt die SC-Athletin.

Die nicht die älteste Aktive im Behindertensport ist. Marianne Buggenhagen vom SC Berlin will in London ihre sechsten Paralympics bestreiten – mit dann 59 Jahren.

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