
© A. Klaer
Von Peer Straube: Neues Zuhause für Gourmet-Leckerei
Eine Million Glasaale zur Sicherung der Fischbestände in der Potsdamer Havel ausgesetzt
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Gut 1,3 Millionen Euro gehen da den Bach herunter. So viel würden nämlich asiatische oder südeuropäische Gourmets insgesamt für das glibberige Gewürm auf den Tisch legen, das am Freitagmittag aus weißen Styroporkisten in die Potsdamer Havel entwimmelt. Eine Million Glasaale sind es, der Kilopreis liegt aktuell bei 450 Euro. „Und das ist noch günstig, wir waren auch schon bei 1000 Euro“, sagt Lars Dettmann, Chef des Landesfischereiverbandes.
Doch die winzigen, je 0,3 Gramm schweren Fischlein sollen eben nicht in Marinade eingelegt auf den Tellern japanischer oder französischer Feinschmecker landen. Zum fünften Mal bereits schickt das Land Aalbabys auf die Reise in die Havelgewässer, zum ersten Mal sind auch Glasaale dabei. Seit dem Inkrafttreten der EU-Schutzverordnung zum Schutz des Europäischen Aals ist der Marktpreis wieder gesunken, so dass an der europäischen Atlantikküste gefangene Glasaale aufgekauft werden konnten. Gestartet wurde das Aalprojekt 2006, um den dramatischen Rückgang der Bestände in den Binnengewässern aufzuhalten. Inzwischen zeigen sich die ersten Erfolge. „Die Fänge der Fischer stabilisieren sich jetzt“, sagt Dettmann.
Schuld am Rückgang ist ohnehin nicht die Überfischung. 110 Tonnen Aal ziehen die märkischen Petrijünger jährlich aus dem Wasser, rund 360 000 Stück. „Da bleiben noch genügend übrig“, sagt Dettmann. Schließlich werden allein in diesem Jahr in ganz Brandenburg 5,5 Millionen Jungaale ausgesetzt. Dass es so viele sind – mehr als die doppelte Menge der vergangenen Jahre – liegt an einer Premiere. Erstmals beteiligen sich an der Aktion auch jene, die den gefangenen Fisch verarbeiten – die Fischräucherer und -händler. Und zwar finanziell. Sie haben dafür die „Initiative zur Förderung des Europäischen Aals“ gegründet. Das restliche Geld stammt aus EU-Töpfen und Landesmitteln. Bis 2013 ist die Finanzierung damit gesichert. Brandenburgs Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) rechnet für 2011 mit einer Entscheidung, ob auch für die neue Förderperiode Geld aus Brüssel für die Aale fließen wird. Denn dass das Projekt weitergeht, „ist wahnsinnig wichtig“, sagt er.
Seit dem Beginn der Industrialisierung ist es für die Babyaale immer schwerer geworden, aus ihrem Laichgebiet in der Sargassosee, 700 Seemeilen östlich der Bahamas, über den Atlantik kommend in die Flussläufe der Alten Welt vorzudringen. Forscher schätzen, dass sich einst 27 Millionen Jungaale pro Jahr im Einzugsgebiet der Elbe tummelten, zu dem auch die Havel gehört. Heute sind es gerade mal noch eine Million, und das, obwohl der Fluss längst nicht mehr die Kloake ist, die er noch vor wenigen Jahren war. Geradezu „ideale Bedingungen“ fänden die Fische hier vor, schwärmt Dettmann. Die Gewässer seien nährstoffreich, sauber und es gebe nur wenige Wasserkraftanlagen, die das ökologische Gleichgewicht stören könnten.
An den Erfolg des Aalprojekts glaubt auch Potsdams einziger Fischer, Mario Weber. „Wir haben damit den Bestand bei Laune gehalten“, sagt er. Etwa 5000 Aale fängt Weber jährlich, seine Fangbücher lassen auf keine dramatischen Einbrüche bei den hiesigen Vorkommen schließen. Zur wissenschaftlichen Untersuchung des Projekts leistet er ebenfalls einen Beitrag. So stellt Weber gefangene Aale dem Potsdamer Institut für Binnenfischerei zur Verfügung. Ohne das millionenfache Aal-Auswildern, ist er sich sicher, würde der Bestand „deutlich zurückgehen“. Auch Weber sorgt dafür, dass die an lebende Bambussprossen erinnernden Tierchen schnell ein neues Zuhause finden, etwa im Tiefen und im Jungfernsee.
Sie sind dem Gourmet-Gaumen entronnen. Ob Glasaale aber wirklich so lecker sind, weiß auch Dettmann nicht. „So etwas zu essen – das wäre ja Kindermord.“
Das Video wurde uns freundlicherweise von PotsdamTV zur Verfügung gestellt.
Von Peer Straube
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