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Trotzt Stagnation des globalen Temperaturanstiegs sehen Klimaforscher die Erderwärmung nicht als gestoppt. Sie suchen nun nach einem einheitlichen Ansatz, um die Folgen der Erwärmung zu erfassen
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Dass die Erde sich erwärmt und dass der Mensch eine Rolle dabei spielt, sei für die Forschung mittlerweile eindeutig geklärt. Mit diesen Worten hatte der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans Joachim Schellnhuber, die internationale Tagung „Impacts World 2013“ am Montag in Potsdam eröffnet. Gerade in diesen Tagen aber war eine Studie von Forschern um Alexander Otto der Universität Oxford erschienen, welche die bis 2100 erwartete globale Erwärmung um rund ein Grad auf 1,2 bis 3,9 Grad herunterkorrigierte. Seit 1998 ist der Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur verlangsamt, sie verharrt seitdem auf hohem Niveau (0,6 Grad über Durchschnitt) – obwohl die Konzentration das Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre mittlerweile einen Rekordwert angenommen hat. Ist die Erderwärmung vielleicht sogar gestoppt?
„Es gibt keinen Grund, die globale Erwärmung für beendet zu erklären“, sagte PIK-Chef Schellnhuber auf Nachfrage der PNN. Die Oxford-Studie, die von ehemaligen PIK-Forschern erstellt wurde, zeige eindeutig, dass die langfristigen Projektionen bestätigt werden. „Das große Bild wird dadurch nicht verändert“, so der Physiker. Zudem müsse man beachten, was sich seit 1998 im Klimasystem abgespielt habe. Seit dem damaligen großen El-Niño-Ereignis zum Jahreswechsel 1997/98 habe sich die globale Erwärmung an der Erdoberfläche verlangsamt. Nach wie vor verbleibe aber mehr Energie in der Atmosphäre, als wieder hinausstrahle. Analysen hätten nun gezeigt, dass die meiste Energie momentan in die tieferen Schichten der Ozeane wandere. „Was wir nun sehen, ist eine Art Anreicherung der tieferen Ozeanschichten mit der überschüssigen Wärme“, erklärte Schellnhuber. Wenn dieser Vorgang abgeschlossen ist, werde sich wieder die Oberfläche erwärmen. „Und zwar schneller als zuvor.“
Seit dem Jahr 2000 ist es gehäuft zu sogenannten La-Niña-Strömungen im Pazifik gekommen, der Gegenspielerin von El Niño. Die Strömung senkt die globalen Temperaturen etwas ab. Dann nimmt der Ozean Wärme auf, während er sie bei El Niño abgibt, so Schellnhuber. Beim nächsten El-Niño-Schub würden die Temperaturen wieder ansteigen. „Diese Zusammenhänge zeigen, dass die globale Erwärmung nicht in einem linearen Weg voranschreitet“, erklärte der PIK-Chef.
Forscher nennen als Ursachen für die Verlangsamung der Erwärmung auch die aktuelle Phase niedriger Sonnenaktivität und die Dunstglocke in Asien. Allerdings ist der Einfluss der Sonnenaktivität auf das Klimageschehen unter den verschieden Disziplinen umstritten. Die Klimaforscher haben bislang betont, dass der Einfluss der Sonnenaktivitäten auf die Temperatur auf der Erde zu gering sei, um die durch die Treibhausgase verursachte Erwärmung des Planeten aufzuhalten. Auch das Thema Rußemission haben Klimaforscher bereits seit Jahren im Blick. Eine dichte Dunstglocke aus Abgasen und Smog verdunkelt regelmäßig riesige Gebiet Asiens, mit der Folge, dass es hier zur Abkühlung kommt. Auf diese Weise könnte auch der globale Temperaturanstieg gedämpft werden.
Klar ist mittlerweile, dass die Abläufe im Klimasystem wie auch die Folgen der Erwärmung weitaus komplexer sind als bislang angenommen. Das hat nun das Potsdamer Institut zum Anlass genommen, auf der bis heute noch stattfindenden Konferenz mit über 300 Spezialisten Wege zu finden, die Fragmentierung der Forschung zu überwinden. Computersimulation einzelner Sektoren, etwa des Wassermanagements oder der Landwirtschaft, sollen nun als Grundlage dazu dienen, um die Integration der Ergebnisse über alle Grenzen hinweg anzugehen. „Es geht darum, die Punkte zu einem großen Ganzen zu verbinden – und die Terra Incognita für immer zu verlassen“, so Schellnhuber. Forschungslücken sollen im interdisziplinären Zusammenschluss der verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen systematisch aufgegriffen und geschlossen werden.
Ein genaueres Bild der zu erwartenden Folgen des Klimawandels sei vor allem auch für die politischen Institutionen wichtig. „Entscheidungsträger sind mit signifikanten Unsicherheiten konfrontiert, wenn es um die Abschätzung des Ausmaßes von Klimafolgen und ihrer genauen Verteilung in Raum und Zeit geht“, sagte Schellnhuber. Die Wissenschaft könne sie darin unterstützen, eine Perspektive des Risikomanagements einzunehmen. Denn die Folgen der Erwärmung könnten die Lebensgrundlage von Millionen Menschen erheblich beeinträchtigen. „Wir können die Zukunft nicht voraussagen“, sagte Schellnhuber. „Aber wir gestalten sie, an jedem einzelnen Tag.“
So suchen die Forscher nun nach Möglichkeiten, um gemeinsam mit robusteren Simulationen zu arbeiten, Kettenreaktionen von Extremereignissen besser abzuschätzen, den Eintrittszeitpunkt von Klimafolgen genauer eingrenzen zu können und Anpassungstrategien passgenauer zu machen. Warum das Thema eine der wichtigsten Herausforderungen der Gegenwart ist, deutete Cynthia Rosenzweig vom Nasa Goddard Institut für Weltraumstudien an. Der weltweite Landwirtschaftssektor stehe vor der großen Aufgabe, die Ernährungssicherheit für eine Weltbevölkerung zu gewährleisten, die bis Mitte des Jahrhunderts auf rund neun Milliarden Menschen anwachsen dürfte. Und das unter den Bedingungen des Klimawandels.
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