Landeshauptstadt: „Nicht mit dem Tod gerechnet“
Vicky Tietze verlor vor zwei Jahren ihren Vater: Sie verarbeitete das Erlebnis in einer Kindertrauergruppe
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Rückblickend versteht sich Vicky selbst nicht mehr. Aber als sie an diesem einen Tag vor dem Krankenhaus steht, gibt es keinen Weg hinein. „Ich war blockiert“, erinnert sich die 16-Jährige. Statt den schwerkranken Vater zu besuchen, dreht sie sich um und geht nach Hause. „Es wird schon wieder“, habe sie sich gesagt: „Ich habe trotz der Krankheit nicht mit dem Tod gerechnet.“ Wenige Wochen später stirbt ihr Vater an Leberkrebs.
Fast zwei Jahre ist das jetzt her. Vicky sitzt in einem Café und erzählt von ihrem Leben, in dem es seitdem ein „Davor“ und ein „Danach“ gibt. Sie berichtet von den ersten Tagen „danach“ in der Schule, von ihren besten Freundinnen, die sie unterstützt haben, und der Vertrauenslehrerin, an die sie sich wenden konnte, erinnert sich aber auch an Fragen ihrer Klassenkameraden, die sie unmöglich beantworten konnte: „Wenn ich geweint habe, hieß es: Warum weinst Du? Wenn ich nicht geweint habe: Warum nicht?“
Auf einem Bild hat sie ihre Gefühle und Gedanken zum Tod ihres Vaters festgehalten: „Kein künstlerisches Meisterwerk“, erklärt Vicky lachend. Ein roter Blitz trennt den helleren, freundlicheren Teil vom eher düsteren Teil auf der rechten Seite. Ein Fragezeichen steht für die Frage nach dem Warum. Und das blaue Auge? „Es hat mir die Augen geöffnet“, sagt Vicky über den Tod ihres Vaters: „Der Tod ist das natürlichste, was zu unserem Leben gehört.“ Heute findet sie es „Wahnsinn, dass man vorher überhaupt nicht darüber nachdenkt.“
Das Bild entstand in der Kindertrauergruppe, die Vicky zusammen mit ihrer jüngeren Schwester seit November 2007 besucht. Bis Ende Januar trafen sich in den Räumen des Hospizdienstes Potsdam fünf Kinder an je einem Nachmittag pro Woche unter Leitung von Sozialpädagogin Constanze Pohl.
Die Treffen beginnen mit einem „Ritual“, erzählt Vicky: Jeder zündet ein Teelicht an und denkt an einen Menschen, dem er diese Kerze widmen will. „Meistens ist es schon der Papa“, sagt Vicky. Auch der „Segen der Trauernden“ gehört zum festen Programm: Das sei ein Dank für Freunde und Familienangehörige, die einem helfen, erklärt Vicky. Danach geht es locker zu: „Wir sitzen nicht im Kreis und reden über Probleme.“ Stattdessen werden Gedichte gelesen, Musik gehört, gebastelt oder gemalt. Auch gemeinsame Friedhofsbesuche habe die Trauergruppe unternommen. Vicky fühlt sich in der Gruppe gut aufgehoben: „Die anderen wissen genau, wie man sich fühlt.“
Das Treffen mit anderen Betroffenen könne die Kinder stärken, glaubt Leiterin Constanze Pohl: „In dem sie sich etwas erzählen und Dinge zusammen tun“. Ein solches Angebot von außen sei „dringend notwendig“, meint sie: Denn „die Eltern stecken selber in ihrer Trauer.“ Eine solche Gruppe könne „Schulproblemen und anderen psychologischen Problemen“ vorbeugen, ist sich die Sozialpädagogin sicher. Ab 11. Februar soll eine neue Kindertrauergruppe beginnen. Finanziert wird das Angebot über Spenden. Die Anmeldezeit läuft.
Vicky will nun auch an der Schule über ihre Erfahrungen berichten: „Ich will offen darüber reden und zeigen, dass der Tod kein Tabuthema ist“, sagt die 16-Jährige. Eine Lehrerin habe sie schon gefragt, ob sie über das Thema „Trauerbewältigung“ erzählen möchte.
Spendenkonto für die Kindertrauergruppe: Bank für Sozialwirtschaft BLZ: 10020500, Kontonummer 323 22 00, Verwendungszweck: Kindertrauergruppe Potsdam. Kontakt zur Trauergruppe über Tel. (0331) 620 02 50 oder im Internet unter www.kindertrauer-potsdam.de.
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